Fotoband "Metropolis": Melancholische Stadt-Momente
Der Bildband "Metropolis" zeigt den Blick des Fotografen Alan Schaller auf Städte aus der ganzen Welt - und deren mal nachdenkliche, mal hektische, mal in sich versunkene Bewohnerinnen und Bewohner.
Eine Stadt, in deren Himmel Riesentürme ragen. Ein Roboterwesen, das sich in eine Frau verwandelt. Unüberschaubare Menschenmassen. Fritz Langs Stummfilm-Klassiker "Metropolis" von 1927 zeigt die Vision einer futuristischen Großstadt. Ein neuer Fotoband mit demselben Titel ist kürzlich erschienen. Ob das Bild von der modernen Stadt in diesem Buch ähnlich düster ist?
Bildschirm schlägt Amphitheater
Großes Dunkel. Nur ein kleiner Lichtspalt gibt den Blick frei auf ein Dutzend Touristen, die artig hintereinander herschlurfen. Sie lassen die Köpfe hängen, schauen gelangweilt auf ihr Smartphone in der Hand. Die Sonne zeichnet grell die Umrisse ihrer gekrümmten Körper nach. Hinter den Wartenden: die Rundbögen des römischen Kolosseums. Die versetzen hier niemanden in Wallungen. Bildschirm schlägt größtes Amphitheater der Antike.
"Denk dir ein Vakuum, eine endlose, reglose Schwärze", schreibt Kae Tempest im Gedicht "Sollen sie doch Chaos fressen" über unsere Zivilisation. Und kaum etwas könnte besser passen zu den eindringlichen Schwarz-Weiß-Fotografien von Alan Schaller. Beide sind sie aus London.
Das Spiel mit den Architekturen der Stadt
Der Bildband "Metropolis" zeigt Alan Schallers Blick auf Städte aus der ganzen Welt - und deren mal nachdenkliche, mal hektische, mal in sich versunkene Bewohnerinnen und Bewohner. Die energisch Tanzenden im Scheinwerferlicht eines vietnamesischen Technoclubs. Die scheinbar kopflosen Passanten, die mit Regenschirmen über die Straße flitzen. Oder die Leute, die auf der Rolltreppe starr nach unten gleiten.
Die Fotos sind kunstvoll, radikal und mutig. Schaller spielt mit den Architekturen der Stadt: Er nutzt Gitter, Treppenstufen, Zebrastreifen, um Perspektiven, Spannungen oder Brüche herzustellen. Er erlaubt sich in den Aufnahmen viel Schwärze. Deshalb sticht das Sichtbare noch mehr heraus und entfaltet seine bemerkenswerte Kraft. Dramatik entsteht.
Nächtliche Szene: Zwei Männer mit Dreitagebärten. Einer raucht. Die Asche-Spitze seiner Kippe dürfte jeden Moment runterfallen. Der zweite Typ ist im Begriff die Zigarette, die zwischen seinen Lippen klemmt, erst anzuzünden. Windschützend hält er seine Hand um das brennende Feuerzeug. Beide Gesichter werden umgarnt von kreisenden Rauchschwaden. In all der Anonymität gibt es sie doch: Begegnungen.
"Metropolis": Visuell aufregender Bildband
Alan Schaller ist Musiker, fühlte sich auf diesem Gebiet allerdings immer als Generalist, dem ein kreatives Ventil fehlte, schreibt er im Vorwort. 2015 kaufte er sich eine Fotokamera und spürte zum ersten Mal künstlerische Entschlossenheit, geradezu Besessenheit. Man sieht seinen Bildern an, dass es ihm um etwas geht. Sein ästhetisches Gespür ist glasklar.
Nur manchmal übertreibt der Fotograf. Zum Beispiel wenn er ein weißes Leinentuch zeigt, gegen das ein dunkler, nackter Körper drückt. Oder wenn er eine posierende Frau am Fenster fotografiert, deren kurvige Silhouette sich in der Tischlampe im Vordergrund doppelt. Aufnahmen wie diese wirken überkomponiert, mechanisch, fast kitschig.
Insgesamt ist es aber ein hochinteressanter, visuell aufregender Bildband voller melancholischer Stadt-Momente.
Metropolis
- Seitenzahl:
- 240 Seiten
- Genre:
- Bildband
- Verlag:
- teNeues
- Bestellnummer:
- 978-3-96171-513-8
- Preis:
- 85 €