Bildschöne Bücher: "Lofoten" - Sehnsuchtsinseln der Polarliebhaber
Die Fotografin Andrea Gjestvang hat zu unterschiedlichen Jahreszeiten die Lofoten bereist und einfühlsame Bilder von Landschaften, Häfen und Bewohnern der rund 80 Inseln in einem Bildband versammelt.
Die ersten Strahlen der Morgensonne färben die massive Felswand aus spitzzackigen Gipfeln feurig-orange. Über die stahlblaue Meeresoberfläche wogen und wandern leise Wellen, sanft schaukelnd und zugleich kraftvoll wie die Muskeln eines Raubtiers. Tagesanbruch auf den Lofoten.
Über dem sich reckenden, sich ausstreckenden Bergmassiv füllt ein kühler, weicher Himmel beinahe zwei Drittel des Bildes aus. Der zarte Schleier aus Wolken ist schon auf dem Rückzug. Wenn die Sonne nachher an Kraft gewonnen hat, wird er wohl ganz verschwunden sein - vorausgesetzt, das Wetter bleibt stabil, was auf den Lofoten selten der Fall ist.
Eher peitschen Windböen Tropfen von Salzwasser in die Luft, kibbeln und kabbeln die Wogen in einem wilden Tänzchen und lassen die Menschen in ihre Häuser fliehen. Oder in ihre Zelte, wenn sie Sámi sind. So wie der 13-jährige Peder Issát, der zwischen einigen Kleidungsstücken, Fellen und Taschen in dem Tipi-ähnlichen Lávvu tief schläft; bewacht von seinem schwarzblonden Hund, der zwar die Schnauze auf den Boden gelegt hat, aber doch besser die Augen offenhält.
"Ich bin keine Landschaftsfotografin", sagt Andrea Gjestvang über sich. "Aber so wie ich Menschen porträtiere, suche ich in der Landschaft nach einer Stimmung. Ich versuche, sie als eine Art Porträt zu betrachten, das in gewisser Weise Gefühle ausdrückt."
Virtuoses Spiel der Fotografin Andrea Gjestvang
Einsamkeit und Weite der Natur. Die Enge kleiner Holzhäuser, an deren Fassaden Regen und Wind über Jahre genagt und geklopft haben. Tiefhängende Wolken, die sich in Buchten schleichen und die grandiose Felszacken verbergen; alles in Grau hüllen, nur um dann doch, hier mal und da mal, ein Stückchen Himmelblau oder einen Sonnenfinger freizugeben. Geradezu virtuos spielt die Fotografin mit diesen Elementen, diesen Gelegenheiten, und weckt im Betrachter ihrer Bilder die Bereitschaft, ganz genau hinzuschauen, um etwas zu entdecken und die Gedanken spielen zu lassen.
Die Lupinen auf dem Fußballfeld: eine violett-rosa Mauer wie zum Freistoß vor dem Tor postiert, als bunte Verteidigungsreihe. Amalia, Lovna und Eline, alle drei zwischen 15 und 16, in weiten Blue Jeans, weißen Turnschuhen und kurzen Tops, die recht wenig Haut bedecken. Mit umgehängten Handtaschen lehnen sie am rostigen Geländer des Hafens von Kabelvag, bereit zum Shoppen - und könnten in derselben Pose doch auch in der Fußgängerzone von Berlin, Hamburg, München stehen.
Parsa Massahi kann wiederum nur hier im hohen Norden die Algen für seinen biodynamischen Bauernhof sammeln: Der junge Mann kniet mit Gummihandschuhen und Jutesack im Matsch, eine Windböe kämmt seine Haare straff nach links. Hinter seinem Rücken steht stumm und mächtig das Bergmassiv, das Jahrmillionen auf dem Buckel hat und doch aussieht wie soeben aus der See emporgestiegen.
Atmosphärische Texte von Dimitri Ladischensky
"Der Wind reißt den Himmel auf, die Regenfäden vernähen ihn wieder mit dem Horizont, die Naht verschwindet bald im Grau des einsetzenden Schneetreibens. Die Konturen der scharf aufragenden Berge werden erst ganz weich, dann verschwinden sie unter Schnee", schreibt Dimitri Ladischensky in einem ebenso atmosphärischen wie informativen Essay über die Inseln und ihre vom Fischfang geprägte Geschichte.
Andrea Gjestvang zeigt lieber verhangen-düstere als sonnenbeschienene Ufer. Führt uns in nüchterne Fischfabriken mit Neonlicht und Plastikwannen. Schaut aus dem Panoramafenster einer aufgeheizten Sauna auf Wellen, Wolken, Weite. Knipst vom Strand aus Damen in Badeanzügen mit Mütze und Handschuhen, denn bei sechs Grad ist Badewetter nur, wenn Kopf und Hände warm bleiben. Und bringt uns in diesem Bildband die Sehnsuchtsinseln der Polarliebhaber so nah, wie es nur jemand kann, die auf ihrer Reise weit mehr gefühlt als nur gesehen hat.
Lofoten
- Seitenzahl:
- 132 Seiten
- Genre:
- Bildband
- Zusatzinfo:
- Mit Texten von Dimitri Ladischensky
- Verlag:
- mare Verlag
- Bestellnummer:
- 978-3-86648-730-7
- Preis:
- 58 €