Gewalt und Hetze im Netz: Pressefreiheit in Deutschland "angekratzt"
Wie steht es um die Pressefreiheit in Deutschland? Eine der Fragen mit der sich die 1. Hamburger Woche der Pressefreiheit beschäftigt. Ein Gespräch mit Michael Rediske, Vorstandssprecher bei Reporter ohne Grenzen.
Herr Rediske, in Sachen Pressefreiheit liegt Deutschland im internationalen Vergleich auf Platz 21 hinter Ländern wie der Tschechischen Republik oder Lettland. Woran liegt das?
Michael Rediske: Dass Deutschland da abgerutscht ist, liegt daran, dass wir im letzten Jahr mehr als hundert Übergriffe und Angriffe auf Journalisten und Journalistinnen verzeichnen mussten, die meisten davon auf rechtspopulistischen oder Corona-Demos. Ansonsten liegt Deutschland immer noch im stabilen Mittelfeld der EU-Länder. Strukturell haben wir immer noch eine stabile Pressefreiheit, die aber unter der Oberfläche ein bisschen angekratzt wird, weil zu viele Leute gegen angebliche "Systemmedien" oder "Lügenmedien" agieren und sich das in Hetze im Internet und manchmal auch in Gewalt umsetzt.
Hat das alles mit den Corona-Demos begonnen?
Rediske: Diese rechtspopulistische Ecke hat mit den Corona-Demos Fahrt aufgenommen - begonnen hat es aber eigentlich schon früher, indem die sozialen Medien, vor allen Dingen Facebook, angefangen haben, gegen Journalisten und Journalistinnen zu hetzen. Dass der öffentliche Diskurs so in Hetze und Hass umgeschlagen ist, hat schon deutlich vor Corona begonnen.
Welche Auswirkungen hat diese Hetze?
Rediske: Die physischen Angriffe, die Berichterstatter und Berichterstatterinnen gerade in Thüringen und in Sachsen, aber zum Teil auch in anderen Bundesländern erlebt haben, haben dazu geführt, dass sich Journalisten im letzten Jahr nur noch mit Sicherheitspersonal auf manche Demos gewagt haben. Das ist die unmittelbare Auswirkung. Aber das, was die Journalisten und Journalistinnen viel mehr betrifft, ist die Hetze im Netz. Da haben sich vor allen Dingen Frauen, die viel öfter bepöbelt und auch sexistisch angegriffen werden, zum Teil aus den sozialen Medien zurückgezogen, weil sie das einfach nicht mehr ertragen konnten.
Was sind das für Menschen, die die Pressefreiheit im wahrsten Sinne des Wortes mit Füßen treten?
Rediske: Das ist unterschiedlich. Es gibt mittlerweile einen rechtsradikalen Bodensatz, Leute, die nicht mehr erreichbar sind, die nur noch in abgeschotteten Blasen auf Telegram oder anderen entsprechenden Kanälen agieren. Aber viele Leute haben einen Vertrauensverlust gegenüber den Medien oder auch der Politik - Politik und Medien werden da oft in einem Atemzug genannt und als zusammenhängend begriffen: Das sind die da oben, und wir sind hier unten und müssen uns irgendwie wehren. Das ist ein sehr vereinfachtes Bild von der Gesellschaft. Es ist schwer, da ranzukommen, aber man muss es immer wieder versuchen. Dem soll auch diese Woche der Pressefreiheit dienen.
Was müsste man tun, um diese Menschen überhaupt zu erreichen? Und was müsste man deren Aktionen entgegensetzen, damit die eingedämmt werden?
Rediske: So einfach ist das nicht. Es wird immer wieder gesagt, man solle den Dialog suchen mit denen, mit denen man noch Dialog führen kann. Die, die protestiert haben: "Merkel an den Galgen" - die wird man nicht mehr so leicht erreichen. Aber viele, die kein Vertrauen mehr in Medien oder Politik haben, weil die Politik im Moment nicht in der Lage ist, ihre Probleme zu lösen - mit denen kann man sicherlich in einen Dialog treten. Das versuchen viele, auch die Stiftungen, die diese Woche der Pressefreiheit zusammen mit dem NDR organisiert haben.
Das Interview führte Julia Westlake.