"Hamburger Ehe": Recht auf Partnerschaft für Homosexuelle
In Hamburg verpartnern sich am 6. Mai 1999 die ersten gleichgeschlechtlichen Paare. Es sind emotionale Verbindungen ohne Rechte und Pflichten. Trotzdem ist ohne die "Hamburger Ehe" die Ehe für alle nicht denkbar.
Es regnet Konfetti, rote Rosen werden überreicht und Fliegen in den Farben des Regenbogens getragen: Im Wonnemonat Mai bekunden 1999 bei einem typischen Hamburger Wolkenhimmel, hinter dem sich die Sonne versteckt, sieben Frauen- und Männerpaare auf dem Bezirksamt Eimsbüttel offiziell ihre Liebe. Auch wenn der Standesbeamte Rolf Paschen während der Zeremonie von "Eheschließung" und "Trauzeugen" spricht, ist dieses "Ja-Wort" lediglich ein symbolischer Akt für die homosexuellen Paare. Der Eintrag in das eigens für diesen Anlass geschaffene Partnerschaftsbuch ist rechtlich nicht bindend. Der Vorgang an sich aber ist ein erster Schritt zur bundesweiten Ehe für alle - und Hamburg gilt als Vorreiter für das spätere Gesetz.
"Man hat gemerkt, wie emotional und wichtig das Thema für die Paare und die queere Community war. Da bekomme ich heute noch Gänsehaut, weil es einfach so wahnsinnig toll gewesen ist", erinnert sich Lutz Johannsen an diesen besonderen Tag. Er sei ein Meilenstein gewesen.
Lutz Johannsen und Farid Müller schmieden "Hamburger Ehe"
Johannsen ist damals - noch unter seinem Geburtsnamen Kretschmann - Mitglied der Hamburgischen Bürgerschaft für die SPD und der erste offen schwule Abgeordnete in Deutschland. Zusammen mit Farid Müller von der GAL-Fraktion ist er Wegbereiter der "Hamburger Ehe". Beide Politiker gehören dem seit November 1997 regierenden rot-grünen Senat unter dem damaligen Bürgermeister Ortwin Runde an - und setzen sich für ein tolerantes und liberales Hamburg ein. "Die wussten noch nicht, wer kommt da eigentlich auf uns zu - einer im Tütü?", so Johannsen über seine Parteikollegen. Bei seinen Fraktionskollegen muss er für die Gleichstellungspolitik homosexueller Frauen und Männer viel Überzeugungsarbeit leisten. Farid Müller hat es da etwas leichter, seine Partei hatte die "Hamburger Ehe" bereits in ihr Wahlprogramm aufgenommen.
Rot-grüne Landesregierung setzt Zeichen für "Homo-Ehe"
Das Werben für mehr Gleichstellung zeigt den gewünschten Erfolg: Die eingetragene Partnerschaft ist Teil des rot-grünen Koalitionsvertrages, der im November 1997 unterschrieben wird. Am 8. April 1999 beschließt der rot-grüne Senat dann die "Hamburger Ehe" gegen den Widerstand der CDU. Als erstes Bundesland gibt Hamburg damit gleichgeschlechtlichen Paaren die Möglichkeit, sich in ein Partnerschaftsbuch einzutragen.
"Aus der Eintragung ergeben sich weder Rechte noch Pflichten für die Partnerinnen und Partner der Partnerschaft, insbesondere hat die Eintragung keinen Einfluss auf den Personenstand." Gesetz zur Eintragung gleichgeschlechtlicher Partnerschaften vom 8. April 1999
Allerdings können die eingetragenen Partner etwa im Falle eines Unfalls oder einer schweren Erkrankung als nächster Verwandter im Krankenhaus Auskunft bekommen.
Langer Kampf für die legale homosexuelle Liebe
Der Weg bis zur "Hamburger Ehe" ist kein leichter. Lange gilt besonders die Liebe unter Männern als schmuddelig und ist verpönt. Noch bis Ende der 1960er-Jahre bestraft der aus der Kaiserzeit stammende Paragraf 175 Homosexualität. Seit 1969 werden homosexuelle Handlungen zwischen erwachsenen Männern über 21 Jahren nicht mehr kriminalisiert. Doch erst im Jahr 1994 wird der Paragraf 175 aus dem Gesetzbuch gestrichen - und homosexuelle Liebe legal.
Kirche und Konservative lehnen eingetragene Partnerschaft ab
Die Widerstände gegen die "Hamburger Ehe" sind trotzdem groß. Die katholische Kirche und die konservative Gesellschaft lehnen diese Form der Verpartnerung ab. Sie sehen darin einen Angriff auf die Familie. Johannsen kann das nicht nachvollziehen: "Wir hatten damals ja noch gar keine Rechte und Pflichten. Es war im Endeffekt nur ein Schein…" Doch Politikerinnen und Politiker, die sich für die "Hamburger Ehe" einsetzen, "wurden angegriffen und bekamen jede Menge Beschimpfungen und Schmähbriefe und das ging hin bis zu Morddrohungen", erzählt Krista Sager in einem Interview mit der Heinrich-Böll-Stiftung. Damals ist sie Zweite Bürgermeisterin der Hansestadt und befürwortet die Gleichstellung.
Auch Johannsen bekommt wegen seines Engagements für die queere Hamburger Community die Unnachgiebigkeit der Gegner zu spüren, er erhält anonyme Briefe. Sie seien so unterirdisch und menschenverachtend gewesen. Das habe er so nicht stehen lassen können. Er habe sie zur Polizei gegeben.
Medien setzen "Hamburger Ehe" auf die Tagesordnung
Die eingetragene Partnerschaft findet viel mediale Resonanz, über die Stadtgrenzen hinaus bis ins Ausland. Die "Hamburger Ehe" ist nicht nur Thema im "Mittagsmagazin" des ZDF. Auch in Österreich und der Schweiz laufen TV-Beiträge. Lutz Johannsen ist an diesem Tag ein gefragter Interviewpartner und freut sich über die positive Resonanz. Er selbst verzichtet darauf, mit seinem Partner die "Hamburger Ehe" einzugehen. Aufgrund des Medienrummels hätten sie sich dagegen entschieden. "Es sollten Homestorys entstehen, und da haben ich und mein Mann Uwe gesagt: 'Zu uns ins Haus kommt keiner'", erzählt der heute 63-Jährige.
"Es war berührend, eine unheimlich emotionale Geschichte"
Aber bei den Trauungen sei er live dabei gewesen, habe gratuliert und mitgefeiert, "so was von". "Es war sehr berührend, eine unheimlich emotionale Geschichte für alle, die dabei waren. Keiner wird das jemals vergessen", erzählt Johannsen. Auch wenn es nur eine symbolische Zeremonie ist, ist die Bedeutung und der Stellenwert für die Paare ungleich größer. Es verändert eine Beziehung, sie wird intensiver. "Das erging den Menschen, die die 'Hamburger Ehe' eingegangen sind, genauso. Das habe ich aus den Gesprächen mit den Paaren, die ich schon lange kenne, herausgehört", so Johannsen weiter.
Gleichgeschlechtliche Partnerschaften - Ausland ist schneller
In Europa ist die gleichgeschlechtliche Verpartnerung unterschiedlich geregelt. Schon 1989 führt Dänemark als erster Staat die registrierte Partnerschaft ein. In Schweden gibt es seit 1995 ein Gesetz zur Registrierung gleichgeschlechtlicher Partnerschaften. Bereits am 6. Januar 1995 geben sich zwei Männer in Stockholm das Ja-Wort. Seit 2009 können dort homosexuelle Paare auch standesamtlich und kirchlich heiraten. Als weltweit erstes Land erlauben die Niederlande auch Gleichgeschlechtlichen die standesamtliche Ehe, mit denselben Rechten und Pflichten wie für Heterosexuelle, darunter auch das Recht auf Adoption. Selbst katholische Länder wie Spanien öffnen die Ehe früher als Deutschland. Das Land auf der iberischen Halbinsel führt schon im Juli 2005 die Homo-Ehe ein. Auch die Adoption durch homosexuelle Paare - ob verheiratet oder nicht - ist möglich.
Neuer rechtlicher Rahmen für gleichgeschlechtliche Paare
Die "Hamburger Ehe" entwickelt sich ungeachtet dessen zum Erfolgsmodell: Im April 2000 verkündet Krista Sager die 100. Eintragung. Am 1. August 2001 löst das Lebenspartnerschaftsgesetz die "Hamburger Ehe" ab. Damals gibt es bereits 152 eingetragene Partnerschaften.
"Farid (Müller) und ich sind damit auch Wegbereiter für das Lebenspartnerschaftsgesetz auf Bundesebene und letztlich für die Ehe für alle." Lutz Johannsen, ehemaliger SPD-Bürgerschaftsabgeordneter
Das Gesetz über die Eingetragene Lebenspartnerschaft gibt homosexuellen Paaren ähnliche Rechte, nicht jedoch bei der Adoption. Die Gleichstellung zur heterosexuellen Ehen dauert noch 16 Jahre. Erst im Juni 2017 stimmt der Bundestag für die Öffnung der Ehe. Im Oktober tritt das Gesetz schließlich in Kraft. Am selben Tag heiraten 15 Paare um 12.30 Uhr im Hamburger Rathaus. Es ist ein historischer Tag wie der 6. Mai 1999, als mit der "Hamburger Ehe" alles seinen Anfang genommen hat.