Altenwerder: Das verschwundene Dorf - nur die Kirche blieb
Für die Erweiterung des Hamburger Hafens wurde das Dorf Altenwerder ab 1977 abgerissen - nur die Kirche St. Gertrud steht bis heute. 2.500 Menschen lebten früher dort. Sie verloren ihr Zuhause und ein Stück Identität.
Als Altenwerder verschwand, geschah das nicht von heute auf morgen. Doch ab 1977 ging es schnell. Innerhalb eines Jahres wurde mehr als die Hälfte der Häuser in dem Hamburger Stadtteil abgerissen. "Ein Zahn nach dem anderen wurde rausgeknackt, weil sobald einer verkauft hat, kam der Bagger und hat das Haus umgerissen", erinnert sich Klaus Lippmann 2024 im Hamburg Journal des NDR.
Zuhause und Identität verloren
2.500 Menschen lebten früher in dem ehemaligen Fischerdorf am Köhlbrand. Sie verloren ihr Zuhause und ein Stück Identität. "Ich habe als junger Mensch schon immer gesagt, dieser alte Spruch: 'Nen alten Baum, den verpflanzt man nicht'", merkt Bernd Meyer vom Förderverein Altenwerder an.
Für Klaus Lippmann und Bernd Meyer ist Altenwerder bis heute Heimat. Die Erinnerung bleibt - an ein intaktes Dorfleben und eine unbeschwerte Kindheit. Die Natur und der viele Platz, das könne man sich heute gar nicht mehr vorstellen, so Lippmann. Es gab Kneipen, Geschäfte, Handwerksbetriebe, Landwirtschaft. "Das war wie die Prärie in Amerika - mit Wildwuchs und Weidenbüschen. Da konnten wir Erdhöhlen bauen und Kartoffeln braten. Das war einfach toll", schwelgt Lippmann in seinen Erinnerungen.
Hafenerweiterung: Altenwerder soll Industriegebiet werden
Doch der Hafen mit seinen Industrieanlagen dehnte sich aus. Mit dem Hafenerweiterungsgesetz von 1961 beschloss die Stadt, dass Altenwerder Industriegebiet werden solle - jedenfalls perspektivisch. Von nun an durften die Einwohner des Dorfes nichts mehr bauen oder Wesentliches auf ihren Grundstücken verändern. Viele Bewohner wollten die Bedrohung, Haus und Hof zu verlieren, nicht ernst nehmen - und lange passierte auch wenig.
Gutachter schätzen den Wert der Häuser
Anfang der 1970er-Jahre übernahm Klaus Lippmann die Seilerei seiner Familie in Altenwerder. Im Dorf tauchten Gutachter auf, die den Wert der Häuser schätzten. Unterhändler der Stadt versuchten, die Bewohner mit Entschädigungen zum Wegziehen zu bewegen. Lange kämpften die Bewohner für den Erhalt ihres Dorfes - vergeblich. "Steter Tropfen höhlt den Stein, irgendwann haben sie uns dann doch zu fassen gekriegt", erklärt Unternehmer Klaus Lippmann. 1973 wurde die Räumung des Dorfes schließlich endgültig beschlossen.
"Wir sind 1977 weggezogen. Das war die Hauptzeit, wo es losging, dass Häuser aufgekauft und auch teilweise abgerissen wurden", ergänzt Bernd Meyer. Er ist in Altenwerder groß geworden und war gerade mit der Schule fertig, als die Familie nach Neugraben zog. "Für mich als junger Mensch war es so: 'Es ist jetzt so, wir werden es hier nicht mehr ändern. Da, wo wir hingehen, das kenne ich schon.' Das habe ich für mich als Umfeld so akzeptiert", erzählt Meyer.
Filmaufnahmen vom Abriss bis heute nicht angesehen
"Am schmerzlichsten war das, als das eigene Haus abgerissen wurde. Ich habe das damals auch gefilmt. Ich hab den Film bis heute noch nicht angeguckt", berichtet Klaus Lippmann. Der Unternehmer baute die Seilerei im Stadtteil Hausbruch neu auf und zog 1983 endgültig weg.
Neugraben, Hausbruch, Finkenwerder: Viele, die weggingen, blieben südlich der Elbe und bauten sich dort ein neues Leben auf. In den folgenden Jahren wurden in Altenwerder in großem Stil Häuser abgerissen, 1989 standen nur noch elf Gebäude. Altenwerder verkam zu einem Geisterdorf. Es dauerte etliche Jahre, bis dort wirklich ein Containerterminal für den Hafen entstand.
"Freundschaften fürs Leben"
Das Herz von Klaus Lippmann schlägt bis heute für Altenwerder. "Man hat natürlich versucht, sich gegenseitig zu stützen. Wir haben ja Freundschaften fürs Leben gebildet. Deshalb ist das auch Heimat." Einmal im Jahr treffen sich Ehemalige aus Altenwerder zum sogenannten Klönschnack und feiern ihre Wurzeln.
Altenwerder - ein verschwundenes Dort, das in der Erinnerung weiterlebt. Von dessen Existenz zeugt bis heute die ehemalige Dorfkirche St. Gertrud - zwischen Containerterminal und der Autobahn 7.
Fotos im Filmbeitrag: H.U.Schwartau und Lothar Ehlers