1988: Kremlflieger Mathias Rust kehrt zurück
"Der Wedeler Sportflieger Mathias Rust ist wieder frei." So beginnt am 3. August 1988 die 20-Uhr-Sendung der Tagesschau. Weiter heißt es: "Zur Stunde ist er auf dem Flug in die Heimat, dieses Mal als Passagier einer Linienmaschine." Nach 14 Monaten in Russland kehrt Rust zurück nach Deutschland. So überraschend der Kreml-Flug von Mathias Rust im Mai 1987 für die Weltöffentlichkeit war, so überraschend kommt auch seine Freilassung aus der Haft - auch für den Deutschen selbst. Der Oberste Sowjet begnadigt Rust und weist ihn sofort aus der Sowjetunion aus. Am späten Abend betritt er auf dem Frankfurter Flughafen wieder deutschen Boden.
Genscher: "Eine humanitäre Geste"
Der Fall des Norddeutschen hatte mehr als ein Jahr lang die höchsten politischen Ebenen in Moskau und Bonn beschäftigt. Bundeskanzler Kohl spricht am Tag der Begnadigung von einer "positiven Geste". Erleichterung auch bei Außenminister Hans-Dietrich Genscher: "Ich glaube, dass wir hier in erster Linie eine humanitäre Geste der sowjetischen Führung sehen müssen." Dann fügt er hinzu: "Niemand solle sich durch diesen glücklichen Ausgang ermutigt sehen, ein ähnliches Abenteuer zu versuchen." Dieses Abenteuer hat Mathias Rust viel Ruhm eingebracht - und viel Ärger.
Der Flug zum Weltruhm
28. Mai 1987: Mathias Rust landet mit einer "Cessna 172" in Moskau. Der 19-Jährige hat niemandem von seinem Plan erzählt, auch seinen Eltern nicht. Alle dachten, er sei zu einer Urlaubsreise aufgebrochen, um Flugstunden zu sammeln. Von Helsinki steuert Rust die Maschine jedoch Richtung Moskau. Die russische Luftabwehr nimmt das kleine Flugzeug wahr, aber der Deutsche gelangt ungehindert in die russische Hauptstadt. Er dreht drei Runden über den Roten Platz und bringt die Maschine auf einer Brücke in der Nähe zum Stehen. Es ist 19.30 Uhr Ortszeit.
Der Norddeutsche, in einen roten Pilotenanzug gekleidet, gibt in aller Seelenruhe Autogramme und unterhält sich mit den Passanten, die sich über den Anblick des deutschen Flugzeuges mitten in Moskau wundern. Erst zwei Stunden nach der Landung wird Rust abgeführt. Später wird er von einer "Friedensmission" sprechen. Er habe mit dem Flug die Beziehungen zwischen der Bundesrepublik und der Sowjetunion fördern wollen.
Vater: "Das muss eine Verwechslung sein"
Die Eltern von Mathias Rust erfahren von der Nachricht am folgenden Morgen: "Ich glaube das einfach nicht", sagt Vater Karl-Heinz Rust. "Das muss eine Verwechslung sein. Wie soll mein Sohn denn nach Moskau kommen?" Die Sowjetunion bestätigt den Fall erst am Mittag. Der Kremlflug ist fortan das große Thema in den Nachrichten. Es herrscht großes Rätselraten: Wie konnte Rust ungehindert nach Moskau gelangen? Warum hat er das gemacht? Hat er sich nur verflogen?
Schnell zieht die russische Luftabwehr Spott auf sich. Die Journalisten im Regierungssitz Bonn unken: Die NATO brauche sich nicht mehr das teure Kampfflugzeug Jäger 90 zu leisten, sondern könne auf die "Cessna 172" umrüsten. Generalsekretär Gorbatschow handelt: Er entlässt den Verteidigungsminister und den Luftabwehrchef.
Der Prozess in Moskau
Auch Rust kommt nicht ungeschoren davon. Die Sowjetunion macht ihm im September 1987 in Moskau den Prozess. Die Anklagepunkte lauten: illegaler Grenzübertritt, Verletzung internationaler Flugvorschriften und Rowdytum. Der Staatsansanwalt fordert für den Deutschen acht Jahre Arbeitslager. Am 4. September verkünden die Richter das Urteil: vier Jahre Arbeitslager. Mutter Monika Rust sagt den wartenden Journalisten vor dem Gericht: "Mathias und wir haben das Urteil sehr gefasst aufgenommen. Wir hoffen, dass er nicht die ganze Strafe verbüßen muss."
Mathias Rust: "Lieber ins Arbeitslager"
Mathias Rust sitzt die Strafe im Moskauer Lefortowo-Gefängnis ab. Zwei Stunden darf er pro Tag im Gefängnishof spazieren gehen. Die übrige Zeit verbringt er in seiner sieben Quadratmeter großen Zelle. Er liest viel und lernt Russisch. "Ich wurde wunderbar behandelt", sagte Rust kurz nach seiner Freilassung. Er erzählt aber auch, dass ihm die Haft mehr zu schaffen machte als gedacht. Seine Eltern dürfen ihn alle zwei Monate sehen. Das Nichtstun belaste ihren Sohn, berichten sie nach einem ihrer Besuche. Zwischenzeitlich wünscht sich Mathias Rust sogar - dem Urteil entsprechend - in ein Arbeitslager verlegt zu werden. Aber dazu kommt es nicht.
Was geschah mit dem Flugzeug?
Während Rust noch in Moskau im Gefängnis sitzt, fliegt ein deutscher Pilot im Oktober 1987 die Cessna mit dem Kennzeichen D-ECJB von Moskau zurück nach Deutschland. Die Maschine wird in Hamburg wie ein Star empfangen. Ein NDR Reporter auf dem Flughafen Hamburg spricht von einem Auflauf, als ob Lady Diana erwartet werde. Für 160.000 Mark hatte der Chef einer Marketing-Firma das Flugzeug gekauft. Er kündigt auf dem Rollfeld an, die Maschine werde eine Friedenstournee durch deutsche Städte machen. Später erwirbt ein japanischer Geschäftsmann das berühmte Flugzeug und stellt es unter freiem Himmel aus.
Zurück in Deutschland
Bis zu seiner Freilassung im August 1988 verbringt Mathias Rust 432 Tage in Moskau im Gefängnis. Über die ersten Pläne nach seiner Rückkehr sagt er: "Ich werde mich erst einmal ausruhen und entspannen. Dann werden wir sehen, was die Zukunft bringt." Rust hat Schwierigkeiten, sich in Deutschland zurechtzufinden. Der Medienrummel ist enorm. Rust ist ein gefragter Mann. Ein Kaufhauskonzern bietet ihm für eine Tournee durch die USA 800.000 Mark, Spesen extra. Aber schon bald schlägt die Stimmung um. Denn Rust taugt nicht zum Medienstar. Er entspricht nicht dem Bild eines Helden. Viele Deutsche sind vom Kremlflieger enttäuscht.
Als Kellner in Moskau
Rust selbst hat diese Zeit später als sehr schwierig für sich beschrieben. Er habe zehn Kilogramm Körpergewicht verloren und gesundheitliche Probleme bekommen. 1989 gerät Rust erneut in die Schlagzeilen: Er sticht während seines Zivildienstes eine Krankenschwester nieder. Er wird zu zweieinhalb Jahren Haft verurteilt, nach 15 Monaten kommt er frei. Nach Moskau kehrt Rust noch ein Mal zurück: Laut Zeitungsberichten heuert er im Jahr 1994 als Kellner in der russischen Hauptstadt an. Ein deutscher Gastwirt soll ihn für die Kneipe "Bierstube" engagiert haben - für einen Lohn von 400 Mark, bei freier Kost und Logis.