Als der Seemann noch nach Hause funkte
An Weihnachten waren alle Kanäle besetzt. "Die Seeleute, die nicht vom Schiff wegkamen, wollten natürlich auch mit ihren Lieben zu Hause sprechen", erinnert sich Bernd Wagemeyer an seinen Dienst in der UKW-Küstenfunkstelle Rostock Radio. Über die Funkanlage nahm er Kontakt zu Schiffen auf oder vermittelte Telefongespräche zwischen Seeleuten und deren Familien. Im Februar 1990 hatte der damals 31-Jährige seinen Lehrgang an der Ingenieurhochschule Warnemünde abgeschlossen und als Küstenfunker angefangen - mitten in der aufregenden Wendezeit. Ein Drei-Minuten-Gespräch kostete nach der Währungsunion 7,20 DM. "Das war ja nicht ganz billig", sagt Wagemeyer. "Aber in dem Moment war das dann auch egal."
Im normalen Schichtdienst saß Wagemeyer mit einem Kollegen im Büro, zu Spitzenzeiten kam ein dritter dazu. An Heiligabend durften nur die Familienväter zu Hause bleiben oder mussten erst zur Nachtschicht erscheinen. Dafür sprangen die anderen ein. Es sei schon wie eine kleine Familie gewesen, erinnert er sich.
Weihnachtsgrüße auf hoher See
Ähnlich familiär geht es auch im Studio der NDR Hörfunksendung "Gruß an Bord" zu, die es inzwischen seit 57 Jahren gibt. Moderator Herbert Fricke weiß, wie wichtig seine Weihnachtssendung ist. An Heiligabend zwischen 20.05 und 22 Uhr geht sie auf NDR 90,3 und NDR Info auf Sendung. Seeleute aus aller Welt warten auf Nachrichten von ihren Angehörigen daheim, nutzen mittlerweile sogar den Livestream im Internet oder lesen dort die E-Mail-Grüße ihrer Familie.
Zwar sind die Zeiten moderner geworden, doch die Sendung ist nach wie vor populär. "Auch Seeleute sind ja verwurzelt - ob in Hamburg, Bremen, Rostock, Rügen oder sonst wo", weiß Fricke. "Wenn sie dann meine Stimme hören, wissen sie: Jetzt spricht die Heimat zu mir." Die Hörfunksendung stellt sich auf technische Neuerungen ein, geht mit der Zeit. Der Küstenfunk aber hat seit Jahren ausgedient. Ende 1998 schickte die größte deutsche Küstenfunkstation, Norddeich Radio, zum letzten Mal Grüße über den Äther.
Wie alles begann
Erstmals kam die drahtlose Telegrafie auf Schiffen zu Beginn des 19. Jahrhunderts zum Einsatz, bald schon weltweit. Immer intensiver arbeiteten die Länder im Bereich Seefahrt zusammen, profitierten von der vereinfachten Kommunikation. Auch vier große deutsche Küstenfunkstationen nahmen in dieser Zeit den Betrieb auf: Elbe-Weser-Radio ging zuerst 1904 auf Sendung.
Wenig später folgte Norddeich Radio in Ostfriesland: am 1. Mai 1907. Das spätere Rügen Radio begann am 11. September 1911 als Küstenfunkstelle Swinemünde, wurde erst 1932 auf die Insel verlegt. Ab 1946 kam Kiel Radio dazu, betrieben von der Oberpostdirektion der Stadt. Bis Ende der 1990er-Jahre sendeten die Küstenfunker in alle Welt, per Sprechfunk und Morsetelegrafie. Sie erlebten in dieser Zeit sowohl kleine als auch große menschliche Dramen.
- Teil 1: Ein menschlicher Draht zu den Seefahrern
- Teil 2: Aus der Geschichte des Küsten- und Seefunks