VIDEO: NDR Retro: Erinnerung an Luftangriffe auf Hamburg 1943 (1963) (13 Min)
"Operation Gomorrha": Feuersturm vernichtet Hamburg im Juli 1943
Stand: 21.08.2024 15:57 Uhr
Im Juli 1943 starten die Alliierten massive Luftangriffe auf Hamburg. Sie beginnen in der Nacht zum 25. Juli. Ihren Höhepunkt erreichen sie in der Nacht zum 28. Juli, in der 30.000 Menschen sterben. Ganze Stadtteile werden zerstört.
von Bettina Lenner und Thomas Luerweg
"Operation Gomorrha": Unter diesem Codenamen im Zweiten Weltkrieg starten Briten und US-Amerikaner in der Nacht vom 24. auf den 25. Juli 1943 eine Reihe von schweren Luftangriffen auf Hamburg. Zunächst trifft es die westlichen Stadtteile Altona, Eimsbüttel und Hoheluft, die durch Flächenbrände verwüstet werden. Am 27. Juli 1943 um 23.40 Uhr ertönt erneut Fliegeralarm. Die Einwohner der 1,5-Millionen-Stadt reagieren sofort und suchen die vermeintlich schützenden Keller und Bunker auf. Doch was die Menschen in der Nacht zum 28. Juli erleben, übertrifft alles bislang Vorstellbare. Das Inferno des Feuersturms zerstört weite Teile im Osten der Elbmetropole - die Spuren sind bis heute sichtbar.
Spreng- und Brandbomben auf Arbeiterviertel
Rauchschwaden über dem Hamburger Hafen: An der Operation "Gomorrha" war auch die US-Luftwaffe beteiligt.
739 britische Flugzeuge brechen am 27. Juli abends in Richtung Hamburg auf. In den folgenden Stunden werfen sie mehr als 100.000 Spreng- und Brandbomben ab. Orientierungspunkt für die Piloten: die Nikolai-Kirche. Der dichte Bombenteppich trifft die dicht besiedelten Arbeiterviertel Hohenfelde, Hamm, Billbrook, Borgfelde, Rothenburgsort, Hammerbrook und das östliche St. Georg. Mehr als 400.000 Menschen halten sich zum Zeitpunkt des zweiten Großangriffs in diesem Gebiet auf, etwa ein Viertel der Gesamtbevölkerung. In der Innenstadt brennt die Alstertarnung, ein Netz aus Drahtgeflecht und kleinen Blechplättchen. Eine Fläche von 250.000 Quadratmetern steht in Flammen.
Flächenbrände vereinen sich zum Feuersturm
Britische Experten hatten bereits in den 1930er-Jahren umfangreiche Untersuchungen angestellt und die Brennbarkeit der ortsüblichen Bauweise untersucht, um die Bombentechnologie immer weiter zu perfektionieren. Sprengbomben durchschlagen Dächer, Wände und Mauern und machen den Brandbomben den Weg frei. Begünstigt durch wochenlange Hitze und Trockenheit taucht am 28. Juli erstmals im Luftkrieg das Phänomen eines Feuersturms auf, der über fünf Stunden tobt und dessen Zentrum in Hammerbrook liegt: Zehntausende Brände vereinen sich minutenschnell zu riesigen Flächenbränden. In den schmalen Straßen wird die Luft wie in einem riesigen Kamin angesogen. Die fünfstöckigen Wohnblocks und die Speicher entlang der Kanäle bieten den Flammenwalzen, in deren Zentrum bis zu 1.000 Grad herrschen und die zeitweise Orkanstärke erreichen, reichlich Nahrung.
AUDIO: Als der "Feuersturm" über Hamburg fegte (3 Min)
Bunker und Keller als Todesfalle
Der Feuersturm reißt Menschen zu Hunderten in die Flammen, fängt sich in den schmalen Terrassen und Hinterhöfen der Wohnblocks und lässt kein Entrinnen zu. Schutzräume werden zur Todesfalle: "Wir mussten rohe Gewalt anwenden, um die Leute zu bewegen, die Keller zu verlassen", sagt Hans Brunswig, damals Feuerwehrhauptmann. In den Kellern und Bunkern wird die Hitze schließlich unerträglich, es gibt zu wenig Wasser. Viele reißen ahnungslos die Türen auf und geben den Weg für die reißenden Flammen frei, anderen versperren Trümmer die Kellerausgänge. Die Menschen ersticken in ihren Kellern, verbrennen und verglühen auf der Straße, werden von umherfliegenden Holzteilen und herabstürzenden Dächern erschlagen. "Als wir aus dem Bunker kamen, hatte ich das Gefühl, die Flammen schlagen", sagt die Zeitzeugin Elfriede Sindel.
"Der Anflug, das Brummen in der Luft, dann diese Leuchtfontänen, die schier nicht erlöschen wollten und die Stadt beleuchteten. Und dann diese Ohnmacht an den Flakgeschützen ... Die Engländer hatten ja einen Trick angewandt, sie haben schon von Stade an Stanniolstreifen abgeworfen und damit unsere damaligen Funkmessgeräte, ähnlich wie Radargeräte, außer Gefecht gesetzt. Als die ersten Bomben fielen und überall die Brände auftauchten, waren auch die optischen Geräte, diese Kommandogeräte nicht mehr einsatzbereit. Das heißt also - man darf es heute ruhig sagen - wir haben in die Luft geschossen ohne eine Ortung."
"Es war einfach ein Zielpunkt. Uns wurde ein Referenzpunkt auf der Karte gegeben, und das war eben unser Zielpunkt. Wir interessierten uns nicht weiter dafür, was es genau war, und es wurde uns auch nicht gesagt. Es würden Werften oder Industriegebiete sein, daran hielten wir uns. Wir wussten nichts darüber, bis nach dem Ende des Krieges. Es war eben ein ganz normaler Angriff, den wir da flogen. Und Hamburg war ein bedeutender Hafen."
"Der Himmel über uns war ein dunstiger, roter Nebel. Unter uns brannte es wie in einem Hochofen. Ich sah hinunter, erstaunt und sogar entsetzt. Niemand im Flugzeug sprach. Ich hatte noch nie ein solches Feuer gesehen und werde so etwas auch nie wieder sehen."
"Wie ein Lindwurm kam das Feuer die Sachsenstraße hoch. Es brannte überall. Die Häuser brannten auch. Aus den Fenstern kam das Feuer raus. Die waren zur gleichen Zeit wie unser Haus von Brand- und Sprengbomben getroffen worden. Und dann sind wir über den Heidenkampsweg gerannt und sind im Stoltenpark gelandet. Der Park war eine Oase und zwar in der Form, dass man da Luft bekommen konnte, mehr Luft bekommen konnte als zwischen den Häusern. Da war ja keine Luft mehr. Alles war weggefressen vom Feuer."
"Wir waren zuerst am Bergedorfer Heerweg bei meinen Großeltern im Hauskeller, bis da eine Brandbombe reinging. Dann hieß es 'Alle raus und rüber zum Bunker'. Vor dem Bahnhof und vor dem Bahngelände glühte alles, weil da das Kohlenlager war und da Phosphorbomben gefallen waren. Das war eine glühende Masse. Meine Mutter rief: 'Nicht stehen bleiben, nicht stehen bleiben! Ihr fallt hin und dann verbrennt ihr.' Mein Bruder und ich hatten uns angefasst, während wir liefen. Als wir am Bunker ankamen, da waren unsere Sohlen ziemlich dünn und vom Kinderwagen waren die Reifen abgeschmort."
"Als ich zwischen der ersten und der zweiten Angriffswelle den Keller verließ in der Blumenau, war es taghell. Da brannte alles in der Wagnerstraße, da brannte alles an der Blumenau. Und ein Sturm hat sich entfacht, ein Sturm, er muss als Orkan und teilweise schon als Taifun bezeichnet werden, von solch einer Wucht, von solch einer elementaren Gewalt, die man sich als normaler Bürger nicht vorstellen kann. Und es dröhnte, und es röhrte. Wie eine Bestie funkte und fauchte das Feuer. Und vor allen Dingen war das mit dem Funkenflug so stark, dass es wie ein dichtes Schneegestöber über uns hereinkam."
"Die Fenster waren vergittert, die Türen vergittert und verschlossen. Über Nacht wurden wir in unserer Unterkunft eingesperrt. Das Lager war nicht groß. Wir waren 100 Ostarbeiter und 150 Franzosen. Die Franzosen - ich weiß nicht, wo die normalerweise übernachteten - hatten einen eigenen Luftschutzbunker in der Nähe. Während des Angriffs fiel eine Bombe in den Hof, direkt auf den Luftschutzbunker, wo die Franzosen waren. Keiner von denen hat überlebt. Die Bombe fiel direkt auf ihren Bunker. Bei uns waren alle Fenster und Türen herausgeflogen."
Seine Erlebnisse schildert er in dem Buch "Neger, Neger, Schornsteinfeger!":"Langsam, als erwachten wir aus einem Albtraum, stiegen wir aus dem Keller - eine lange Reihe von Menschen, denen das Leben noch einmal geschenkt worden war. Oben erwarteten uns die Leute vom Luftschutz, die uns befreit hatten. Auf ihre Anweisung hin legten wir uns Decken oder Handtücher über den Kopf, zum Schutz vor dem Funkenflug, der die Luft erfüllte. Die Rettungshelfer beschworen uns, ruhig zu bleiben, egal, was wir sehen würden, und das war gut so, denn uns erwartete einer der entsetzlichsten und traurigsten Anblicke unseres Lebens. Die Stückenstraße - nein, ganz Barmbek - unser geliebtes Viertel - war praktisch dem Erdboden gleichgemacht. So weit das Auge reichte, nichts als totale Zerstörung."
"Der Bunker schwankte hin und her - das war das Bombardement auf das alte Altona. Bis zur Entwarnung nahm es kein Ende. Wir saßen vier Stunden in dem Bunker und das war so unheimlich. Als wir den Bunker endlich verlassen konnten und rauskamen, war die ganze Luft pechschwarz. Alles war voller Rauch und Papierpartikel."
"Die SS-Leute hatten nach Freiwilligen gefragt. Und weil ich neugierig war, habe ich mich gemeldet und bin drei Tage lang mit nach Hamburg gegangen. Am vierten Tag wollte ich nicht mehr dorthin zurück. Denn am Nachmittag des dritten Tages hatten wir einen sehr großen Luftschutzbunker mit 1.500 Leichen geräumt. Was ich sehen wollte, waren tote Soldaten. Aber davon gab es sehr wenige. Es waren alles alte Menschen, Frauen und Kinder. Das fand ich fürchterlich. Und am nächsten Tag wollte ich nicht mehr dorthin zurückkehren. Wenn man die Leichen berührte, zerfielen sie zu Staub wegen der Hitzeentwicklung, die es gegeben hatte und wegen der Phosphorbomben."
"Wir waren auf dem Bahnhof Moisling bei Lübeck eingesetzt. Nie werde ich diese Szenen vergessen - den Anblick der Menschen in den Güterzügen, für die wir Verpflegung und Getränke bereithielten. Die meisten saßen völlig apathisch da, das Grauen noch im Gesicht. Andere hasteten von Waggon zu Waggon und riefen die Namen von vermissten Angehörigen hinein - in der verzweifelten Hoffnung, ihren Ehepartner, die Eltern oder Geschwister wiederzufinden. Es war herzzerreißend."
Die Feuerwehr ist machtlos
Rettungskräfte können weder löschen noch bergen. Die Straßen in den betroffenen Ortsteilen liegen begraben unter Trümmern, Telefonleitungen sind unterbrochen. Wolken aus Rauch, Staub und Asche ziehen über die Stadt, erst gegen Mittag sickert Tageslicht durch. Am Tag setzen amerikanische Flugzeuge das Bombardement fort. Zurück bleibt eine glühende Trümmerlandschaft, aus der 900.000 Menschen fliehen. Zwangsarbeiter und KZ-Häftlinge bergen Zehntausende Leichen und bringen sie zum Ohlsdorfer Friedhof, um sie dort in Massengräbern zu begraben.
Die Kriegsmoral der Deutschen soll gebrochen und die Industrie geschwächt werden. Die Angriffe fordern mehr als 30.000 Tote.
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Rund 35.000 Menschen sterben im Inferno
Eine einzige Trümmerlandschaft: So wie hier in Eilbek sahen viele Stadtteile nach den Bombenangriffen aus.
Zehn Tage und Nächte dauert das Inferno in der zweitgrößten Stadt des Deutschen Reiches. Siebenmal zwischen dem 25. Juli und dem 3. August werfen 2.592 britische und 146 US-Bomber insgesamt 8.344 Tonnen Spreng- und Brandbomben auf die Stadt. Die Anzahl der Todesopfer ist nicht genau festzustellen. Von vielen ist nichts als Asche und Staub übrig geblieben. Man schätzt, dass etwa 35.000 bis 40.000 Menschen ums Leben kommen, darunter rund 22.500 Frauen und 7.000 Kinder. Allein in der Nacht auf den 28. Juli kommen rund 30.000 Menschen um, wie es im Buch "Hamburg im Feuersturm" heißt. Rund 750.000 Hamburger werden nach den Angriffen obdachlos. Fast genau die Hälfte aller 357.360 Wohnungen ist zerstört. Die "Operation Gomorrha", als Verweis auf die Geschichte im Alten Testament, in der zwei Städte am Toten Meer durch Feuer und Schwefelregen vernichtet wurden, hat die Elbmetropole in Schutt und Asche gelegt.
"Operation Gomorrha"
Der militärische Codename bezeichnet die Serie alliierter Luftangriffe auf Hamburg zwischen dem 24. Juli und dem 3. August 1943. Ein erster Großangriff durch britische Bomber in der Nacht vom 24. auf den 25. Juli führte zu Flächenbränden vorwiegend in den Stadtteilen Altona, Hoheluft und Eimsbüttel. In der Nacht vom 27. auf den 28. Juli bombardierten die Briten in einem zweiten großen Luftangriff hauptsächlich die östlichen Stadtteile Hammerbrook, Rothenburgsort und Hamm. Es entstand ein Feuersturm, der die zuvor dicht besiedelten Arbeiterviertel fast völlig zerstörte und durch den Tausende Menschen erstickten oder verbrannten. Bis zur Nacht auf den 3. August folgten weitere Angriffe der Briten auf Wohnviertel, die allerdings nicht mehr das Ausmaß der Feuersturmnacht annahmen. Die US-Bomber griffen während der "Operation Gomorrha" in Tagangriffen hauptsächlich Ziele im Hamburger Hafen an.
Mehr als 30.000 Tote fordern die Angriffe. Einzelne Stadtteile, zum Beispiel Hamm, existieren nicht mehr.
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Plan der Alliierten scheitert: Rüstungsproduktion geht weiter
Ziel der Alliierten war es nach den Beschlüssen Roosevelts und Churchills, "die deutsche Wirtschaft, Industrie und Wehrmacht zu zerstören sowie die Moral des deutschen Volkes so weit zu brechen, dass seine Fähigkeit zum bewaffneten Widerstand entscheidend geschwächt wird". Dieser Plan geht nicht auf. Der letzte Angriff findet am 3. August statt, doch schon am Monatsende kehrt ein Großteil der Hamburger zurück und beginnt mit dem Wiederaufbau. Am Ende des Jahres hat die Produktion in der Rüstungsindustrie wieder 80 Prozent erreicht. Das Ziel, das Kriegsende durch Flächenbombardements zu beschleunigen, verfehlen die Alliierten.
Über die Hälfte aller Wohnungen in den Großstädten des Nordens waren 1945 zerstört. Die Menschen brauchten Notbehausungen.
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Ganze Stadtteile ausradiert
Die Zerstörungen des Feuersturms sind in Hamburgs Stadtbild noch immer sichtbar. So gibt es im ehemaligen Arbeiterstadtteil Hammerbrook heute kaum noch Wohngebäude, stattdessen dominieren Bürobauten. In Barmbek, Hamm und Eilbek ersetzten in den 1950er-Jahren eilig errichtete Wohnblocks die zerstörten Häuser und prägen das heutige Aussehen der Stadtteile. Ein gefährliches Erbe der Bombennächte schlummert außerdem im Boden unter der Stadt und im Schlick der Fleete: Dort lauern noch immer unzählige Blindgänger.
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