Rausschmiss mit Folgen: Die Ausbürgerung von Wolf Biermann
1976 wird Wolf Biermann während einer Konzertreise im Westen von der DDR-Führung ausgebürgert. In einer beispiellosen Aktion fordern Schriftsteller die Rücknahme der Maßnahme. Vergeblich. Zahlreiche Künstler und Intellektuelle verlassen danach die DDR.
"Kein Staat bricht zusammen, weil ein junger Mann mit 'ner Gitarre einen Fußtritt kriegt. Sondern es war der Protest in der DDR gegen diese Ausbürgerung: Das war die politische Bombe." So blickte Wolf Biermann selbst zurück auf seine Ausbürgerung und die Folgen - ein Ereignis, das oft als "Anfang vom Ende der DDR" bezeichnet wird.
"Er begriff sofort: Das ist eine Diktatur"
"Der hatte einen völlig freien Blick auf diese DDR-Gesellschaft und begriff sofort: Das ist eine Diktatur. Das hat er in seinen Liedern gegeißelt und angegriffen", so beschreibt Ekkehard Maaß das Besondere an Wolf Biermann. Der Liedsänger, Publizist und Übersetzer Maaß bezeichnet sich selbst als einen der treuesten Freunde und Vertreiber von Biermanns Liedern. 1978 gründete er einen literarischen Salon im Prenzlauer Berg, der sich in der DDR zu einem der wichtigsten Treffpunkte für Künstler entwickelte, die den SED-Staat kritisierten.
Wolf Biermann legt sich früh mit der DDR-Obrigkeit an
Die Daten der Biographie von Wolf Biermann sind vielfach publiziert: Geboren 1936 in Hamburg. Beide Eltern waren Kommunisten. Der Vater wurde von den Nationalsozialisten inhaftiert und in Auschwitz ermordet. 1953 zieht Biermann mit Billigung seiner Mutter in die DDR, um aus dem Traum vom Kommunismus Wirklichkeit werden zu lassen. Nach Abitur und Studium arbeitet er am Theater und schreibt Lieder und Gedichte. Und er beginnt, sich mit der Obrigkeit in der DDR anzulegen.
Beim 11. Plenum des ZK der SED 1965, dem sogenannten Kahlschlag-Plenum mit einem Frontalangriff auf moderne und kritische Tendenzen in der DDR-Kultur, wird Biermann an den Pranger gestellt. Er bekommt Berufsverbot. Aber Biermann ist längst zu bekannt und beliebt, als dass die SED ihn mundtot machen könnte. Im Westen kann er weiterhin publizieren. In seiner Wohnung im Prenzlauer Berg kann er singen und Schallplatten aufnehmen. Seine Wohnung wird zu einem Treffpunkt von Künstlern und Oppositionellen.
Treffen bei Biermann: Vorbei an Polizei und Stasi
"Es war toll", erinnert sich Ekkehard Maaß an die Treffen bei Biermann. Daran teilzunehmen habe allerdings auch Mut erfordert. "Man musste an der Polizei vorbei, die vorm Haus stand. Man musste an dem Stasi-Mann vorbei, der auf dem Treppenabsatz stand."
Das erste Objekt der Stasi-Aktivitäten in der Chausseestraße ist allerdings Biermann selbst. Er wird bewacht: Seine Post und seine Telefonate werden kontrolliert; es gibt Versuche, Freundschaften und Beziehungen zu zerstören. Und: Für einen Liedermacher wie Biermann ist es frustrierend, über Jahre von seinem Publikum abgeschnitten zu sein. Als er schließlich die Genehmigung zu einer Konzerttournee im Westen erhält, fährt er - trotz Warnungen der Freunde. Ekkehard Maaß: "Wir waren der Meinung: 'Wolf, fahr nicht, die lassen dich nicht wieder zurück'", so Maaß. "Und Wolf sagte: 'Ich kann aber nicht mein ganzes Leben lang hier nur in der Stube singen. Also ich bin für Besseres gemacht.'"
Köln 1976: Ein Konzert mit harten Folgen
Am 13. November 1976 beginnt die Tournee in Köln. Viereinhalb Stunden dauert das Konzert. Biermann genießt es, wieder auf der großen Bühne zu stehen. Die rund 8.000 Zuschauer feiern ihn. Doch auf den Triumph folgt der Absturz: Drei Tage später wird ihm "das Recht auf weiteren Aufenthalt in der Deutschen Demokratischen Republik" entzogen. "Ich war zu Tode erschrocken. Ich dachte: Nun ist alles aus", beschreibt Biermann seine Reaktion später.
Die Freunde Wolf Biermanns in der DDR waren nicht bereit, diese Ausbürgerung einfach hinzunehmen. Dass die SED zu einer Maßnahme griff, die auch die Nationalsozialisten gegen missliebige Autoren angewandt hatte, empörte viele besonders. Ekkehard Maaß erzählt, ihm sei sofort klar gewesen, das bedeute einen Einschnitt, nicht nur in der Geschichte der DDR, sondern auch in seinem Leben: "Ich begriff sofort, jetzt musst du ohne Rücksicht auf Verluste, ohne Angst oder Rücksicht auf die Familie irgendetwas tun."
Solidaritätsaktion von DDR-Künstlern und -Bürgern
Ein Dutzend prominenter DDR-Autoren formuliert einen Aufruf, den sie an das SED-Parteiorgan "Neues Deutschland" schicken. Weil er dort nicht gedruckt wird, geben sie ihn weiter an die internationalen Nachrichtenagenturen AFP und Reuters. Darin heißt es: "Biermann selbst hat nie, auch nicht in Köln, Zweifel daran gelassen, für welchen der beiden deutschen Staaten er - bei aller Kritik - eintritt. Wir protestieren gegen seine Ausbürgerung und bitten, die beschlossenen Maßnahmen zu überdenken."
Weitere Künstler und DDR-Bürger aus allen Teilen der Bevölkerung schließen sich der Petition an. Ekkehard Maaß sammelt Unterschriften bei seinen Kommilitonen an der Humboldt-Universität - und muss die Konsequenzen tragen: "Daraufhin bin ich dann auch vom Studium relegiert worden."
SED übt Druck auf Biermann-Unterstützer aus
"Bisher haben wir niemals eine solche Solidarität mit einem Menschen, dem Unrecht getan worden ist, erlebt in einem solchen Umfang. Das ist ein Politikum ersten Ranges" ordnet DDR-Regimekritiker und Biermann-Freund Robert Havemann in einem Telefon-Interview damals die Ereignisse ein. Das erkennt auch die SED-Führung - und sie ergreift Gegenmaßnahmen. Tagelang erscheinen im Parteiorgan "Neues Deutschland" Stellungnahmen prominenter und weniger prominenter DDR-Bürger gegen Biermann. Alle, die sich mit ihm solidarisch erklärt haben, werden unter Druck gesetzt, ihre Unterschriften zurückzuziehen. Doch die meisten stehen zu ihrem Wort.
Konsequenzen von Bespitzelung bis Abschiebung
Allerdings wird mit den Unterzeichnern je nach Prominenz sehr unterschiedlich verfahren. Stefan Hermlin und Christa Wolf etwa erhalten Parteistrafen und werden eine Zeitlang stärker überwacht. Andere Autoren werden aus dem Schriftstellerverband der DDR ausgeschlossen - was praktisch bedeutet, dass sie fortan nicht mehr in der DDR publizieren können. Ganze Familien werden von der Stasi ins Visier genommen. Viele sehen keine andere Möglichkeit mehr als zu emigrieren. Sarah Kirsch etwa geht, als sie erfährt, dass ihr Sohn in der Schule aufgrund ihrer Haltung benachteiligt wird. Jürgen Fuchs kommt ins Stasi-Gefängnis Hohenschönhausen und wird unter Androhung einer langen Haftstrafe in den Westen abgeschoben.
"Wenn Christa Wolf hier saß, wusste ich, es passiert nichts"
Ekkehard Maaß hat sich durch sein Engagement für Wolf Biermann eine Karriere in der DDR verbaut. Aber er macht aus der Not eine Tugend: In der Nachfolge Biermanns singt er dessen Lieder, aber auch die Lieder russischer Oppositioneller, die er übersetzt. Und er beginnt, in seiner Wohnung Lesungen für Autoren und Autorinnen zu organisieren, die mit dem DDR-Regime Schwierigkeiten haben. Jüngere Autoren finden hier ein Forum, aber auch viele der Etablierten, die in der DDR geblieben sind, kommen zu den Veranstaltungen: Christa und Gerhard Wolf, Franz Fühmann, Volker Braun, Rainer Kirsch oder Elke Erb. "Die waren dann immer so ein kleines bisschen auch der Schutz, denn illegale Wohnungslesungen konnten ja von der Polizei aufgelöst werden wie bei meinem Freund Gerd Poppe", erzählt er. "Aber wenn Christa Wolf hier saß, dann wusste ich, dann passiert das nicht."
Natürlich wurde Ekkehard Maaß permanent bespitzelt. In seinen Stasi-Akten konnte er nach der Wende nachlesen, dass die Staatssicherheit sogar extra eine Wohnung im Haus gegenüber angemietet hatte, um ihn und seine Gäste besser überwachen zu können. Und sie schleuste "Informelle Mitarbeiter" (IM) bei ihm ein, darunter den Autor Sascha Anderson. Er war für die Stasi einer der wichtigsten Spitzel in der Kulturszene des Prenzlauer Bergs. Genau das, meint Maaß, habe ihn selbst letztlich vor weiterer Verfolgung gerettet: "Er war der Stasi so wichtig, dass sie ihn meinetwegen nicht aufdecken wollten. Also sie haben begriffen, dass wenn sie mich verhaften, dann möglicherweise ein Verdacht auf Sascha Anderson fällt. Und das hat mich letztlich vor dieser Entwicklung bewahrt."
"Der Nebel war plötzlich aufgerissen"
So schwer es in den 70er-Jahren auch gewesen sei: Nachträglich bewertet Ekkehard Maaß den Konflikt zwischen dem Staat und den Künstlern, der mit der Ausbürgerung Biermanns offen aufbracht, positiv. Dadurch seien endlich klare Fronten geschaffen worden: "Dieser Nebel, der über der Gesellschaft lag, dieser Nebel der Anpassung, des Opportunismus, der war plötzlich aufgerissen."