Gründung des Volkswagenwerks: Autofabrik diente erst der Rüstung
Einen Volkswagen für jeden: Das versprachen die Nazis den Deutschen. Am 26. Mai 1938 legten sie den Grundstein für das VW-Werk - und produzierten dort Rüstungsgüter.
"Fünf Mark die Woche musst Du sparen - willst Du im eignen Wagen fahren!" Diesem Slogan folgten bis Ende der 1930er-Jahre mehr als 300.000 Sparer im Deutschen Reich. Das Finanzierungsmodell versprach schier Unglaubliches: einen für alle erschwinglichen "Volkswagen", den Adolf Hitler seinen "Volksgenossen" schon 1934 angekündigt hatte.
Massen sparen aufs eigene Auto - vergeblich
Und die Deutschen sparten - Woche für Woche klebten sie ihre Marken in die Sparkarte, in der Hoffnung auf ein eigenes Auto. Das Problem dabei: Das angepriesene Auto gab es gar nicht. Noch nicht einmal die Fabrik, in der es hätte gebaut werden können. So hatten bereits Hunderttausende einen Sparvertrag abgeschlossen, als am 26. Mai 1938 in der Nähe des niedersächsischen Städtchens Fallersleben der Grundstein für das Volkswagenwerk gelegt wurde.
Doch der sogenannte Kraft-durch-Freude-Wagen wurde nie gebaut. Mit Kriegsbeginn wurde die Produktion auf Rüstungsgüter umgestellt. Privatautos blieben auch weiterhin einer kleinen, privilegierten Schicht vorbehalten.
Motorisierung der Massen?
Deutschland war damals im europäischen Vergleich untermotorisiert. 1930 gab es nur etwa 500.000 registrierte Kraftfahrzeuge. Damit lag das Reich weit abgeschlagen hinter Nachbarn wie Frankreich oder Großbritannien, wo bereits mehr als 1,5 Millionen Autos über die Straßen rollten. Noch krasser der Unterschied zu den USA: Hier hatte mit gut 26 Millionen Fahrzeugen die Massenmotorisierung längst begonnen.
Deutschland sollte nach dem Willen der Nazis nachziehen. Schon bald nach der Machtübernahme verkündete Adolf Hitler das ehrgeizige Ziel: 100 Stundenkilometer Spitze, Platz für vier Personen, günstig in der Anschaffung und sparsam im Verbrauch - so sollte der "Volkswagen" aussehen. Mit der Konstruktion wurde Autobauer Ferdinand Porsche (1875-1951) beauftragt. Sein Mitte der 30er-Jahre entwickelter kugelförmiger Wagen hieß allerdings noch nicht "Käfer", sondern "Kraft-durch-Freude-Wagen". Fraglich, ob er mit diesem Namen zu einem weltweiten Verkaufsschlager hätte werden können.
Die nationalsozialistische Auto-Mobilmachung
Fortschritt, Technik, Geschwindigkeit: Obwohl er selbst keinen Führerschein hatte, wusste Hitler um die Faszination des Automobils und nutzte sie zu Propagandazwecken. Wie schon bei den Autobahnen, die als Arbeitsbeschaffungsmaßnahme wenig zusammenhängend quer durch Deutschland gebaut wurden und angesichts der geringen Motorisierung zweifelhaft waren, galt auch hier: Der propagandistische Effekt war wichtiger als der reale Nutzen. Denn damit einher ging das vage Versprechen, dass das Auto bald nicht mehr Privileg der Oberschicht, sondern ein Vergnügen für jedermann sein sollte. Entsprechend wurde die Motorisierung der Massen mit großem Aufwand in Szene gesetzt.
Federführend bei diesem Projekt war die nationalsozialistische Massenorganisation "Kraft durch Freude" (KdF): Sie sollte die Freizeit der deutschen "Volksgenossen" gestalten, sollte sie überwachen und mit scheinbar harmlosen Vergnügungen für das Regime gewinnen. Sie organisierte Urlaubsreisen und Wanderausflüge, veranstaltete Kegelturniere und Nähkurse. Und unter der Leitung von KdF sollte auch das Auto für die Massen produziert werden. Doch dafür brauchte man zunächst eine Fabrik.
Eine neue Werk-Stadt
Das Volkswagenwerk sollte von Anfang an ein vorbildliches Projekt sein. Ferdinand Porsche - zugleich Hauptgeschäftsführer der neu gegründeten "Volkswagenwerk GmbH" - hatte sich auf Studienreisen in den USA die modernen Produktionsmethoden abgeschaut, vor allem das Fließband-Prinzip, mit dem die Firma Ford die kostengünstige Massenproduktion revolutioniert hatte. Finanziert wurde das Projekt in Deutschland nicht nur aus den vielen Millionen Reichsmark der Sparer, sondern auch aus dem 1933 enteigneten Vermögen der Gewerkschaften.
Die Standortwahl fiel auf das kleine niedersächsische Städtchen Fallersleben nordöstlich von Braunschweig. Vor allem die Lage zwischen Mittellandkanal, Bahnlinie und der Reichsautobahn Berlin - Hannover schien günstig. Zudem sprachen militärische Aspekte für den Standort: Im Falle des absehbaren Krieges war die Fabrik weit von den Staatsgrenzen entfernt und damit vor Luftangriffen einigermaßen geschützt.
Grundsteinlegung mit viel Pathos
Am 26. Mai 1938 wurde in Fallersleben der Grundstein gelegt. Das Regime ließ sich die Gelegenheit zur pathetischen Inszenierung nicht nehmen. Der Festakt wurde minutiös bis ins letzte Detail geplant. Aus dem ganzen Reich pilgerten KdF-Sparer zur künftigen Produktionsstätte, SA und SS schickten Ehrenformationen, Angehörige des Reichsarbeitsdienstes, der Hitlerjugend und Parteigenossen wurden in das spärlich besiedelte "Wolfsburger Ländchen" befördert.
50.000 Teilnehmer und etwa 600 Ehrengäste waren in der Südheide anwesend, als Adolf Hitler in seiner massenwirksamen Rede das künftige VW-Werk als ein "Symbol des nationalsozialistischen Deutschen Staates, der nationalsozialistischen Volksgemeinschaft" stilisierte.
Das Werk benötigt eine neue Stadt
Die Gründung des Volkswagenwerks ist zugleich ein frühes Beispiel für die Industrieansiedlung auf der grünen Wiese: In dem Gebiet lebten Ende 1937 gerade mal 857 Einwohner. Für die geplante Massenfertigung gab es hier weder genügend Arbeitskräfte noch entsprechende Unterkünfte. Also musste wenige Wochen nach dem neuen Werk auch die neue "Stadt des KdF-Wagens bei Fallersleben" aus dem Boden gestampft werden. Den wesentlich prägnanteren Namen "Wolfsburg" erhielt sie erst nach dem Krieg am 25. Mai 1945 von den Alliierten.
Mit dem Volkswagen an die Front
Doch bevor es soweit war, mussten im Volkswagenwerk mehr als 20.000 Zwangsarbeiter und KZ-Häftlinge unter unmenschlichen Bedingungen arbeiten, viele von ihnen starben qualvoll. Statt der versprochenen Automobile für die Massen wurden militärische Kübelwagen hergestellt. Denn am massenhaft produzierbaren "Volkswagen" begeisterte Hitler vor allem die Tatsache, dass er sich problemlos von einem zivilen zu einem militärischen Fahrzeug umbauen ließ. Mehr als 60.000 Exemplare lieferte VW für den deutschen Vernichtungskrieg an Wehrmacht und SS, zudem Kampfflugzeuge, Minen und Flugbomben. Dafür durfte sich das VW-Werk "Kriegsmusterbetrieb" nennen, wurde außerdem mit dem Ehrentitel "Nationalsozialistischer Musterbetrieb" gekürt.
Bis Kriegsende verließen nur 630 zivile Fahrzeuge das Werk - für führende NSDAP-Funktionäre. Der eigentliche Siegeszug des "Käfers" als Symbol des Wirtschaftwunders sollte später beginnen.