"Familie Schölermann" bringt dem Norden Traumquoten
Am 29. September 1954 tritt die "Familie Schölermann" in das Leben der deutschen Fernsehzuschauer. Die erste deutsche Familienserie - produziert vom NWDR - erzielt Traumquoten.
"Irgendwo, irgendwann sind Sie ihr schon begegnet, wenn sie auch nicht Schölermann heißen mag." So lautet die Ansage zur Fernsehserie "Familie Schölermann", die am 29. September 1954 erstmals die deutschen Fernsehzuschauer vor ihre Apparate lockt. Die erste deutsche TV-Familienserie - gedreht vom NWDR, dem Vorgänger des NDR - erreicht Traumquoten von 74 Prozent und mehr. Von 1954 bis 1960 lachen, leiden und fiebern die Zuschauer mit Matthias und Trude Schölermann sowie ihren drei Kindern Heinz, Eva und Joachim.
Reality-TV im Stil der 50er-Jahre
Der Untertitel "Unsere Nachbarn heute Abend" suggeriert, dass es die Schölermanns tatsächlich gibt. Die Serie wird live produziert, weswegen heute nur noch wenige Aufnahmen existieren. Zudem spielt die Handlung oft während der Sendezeit zwischen 20.15 und 21 Uhr. Da auch die Namen der Schauspieler zunächst nicht genannt werden, halten viele Zuschauer die Schölermanns für real. Damit haben die Macher ihr Ziel erreicht. Das Fernsehpublikum sollte sich fragen: Ist das eine richtige Familie oder sind das Schauspieler?, berichtet Schauspieler Charles Brauer alias Heinz Schölermann später. So wird schon zu Beginn des Fernseh-Zeitalters in Deutschland den Menschen eine Art Reality-TV präsentiert.
Pädagogischer Auftrag der "Schölermanns"
Im zweiwöchigen Rhythmus durchleben die Schölermanns am Mittwochabend die großen und kleinen Sorgen des Familien-Alltags in der Zeit des Wiederaufbaus und Wirtschaftsaufschwungs. In der heimischen Wohnung berichten sie über die Ereignisse des Tages, diskutieren über Anschaffungen oder Schulprobleme und planen den Urlaub. Der Schauplatz Wohnung wird lediglich sporadisch durch den Schrebergarten, Arbeitsplätze oder Urlaubsorte ersetzt.
Dass die Musterfamilie als Ratgeber auftritt, ist gewollt und entspricht dem Zeitgeist. "Es sollte eine Familie sein, mit der sich möglichst viele Zuschauer identifizieren können, also mittleres Bürgertum", berichtet Regisseur Ruprecht Essberger 2006 in einem Interview. "Eine Familie von nebenan, deswegen war der Untertitel ja auch 'Unsere Nachbarn heute Abend' ". Das Konzept geht auf: Die "Schölermanns" erfreuen sich großer Beliebtheit, wie die Zuschriften der Zuschauer zeigen.
Klassische Rollenverteilung der 50er-Jahre
Die Rollen der Serie entsprechen den moralischen und ethischen Werten der 1950er-Jahre. Politik und Sex sind ebenso Tabu wie das Thema Religion: Man habe die Zuschauer in Bayern, vornehmlich Katholiken, nicht verärgern wollen, so Essberger.
Wer sind die Schölermanns?
Matthias Schölermann (Willy Krüger) hält als Vater und Ehemann das Zepter in der Hand. Mutter Trude (Lotte Rausch) sorgt als Hausfrau für ihre Familie, tröstet und vermittelt. Der älteste Sohn Heinz (Charles Brauer) arbeitet in einer Autowerkstatt, unterhält wechselnde Beziehungen zu Frauen und interessiert sich für Musik, insbesondere Jazz. Zwischen dem ruhigen jungen Mann und seinem Vater kommt es öfter zu Meinungsverschiedenheiten.
Seine lebhaft Schwester Eva (Margit Cargill) - genannt Evchen - macht eine Ausbildung zur Schneiderin, treibt in ihrer Freizeit gern Sport und hilft der Mutter im Haushalt. Joachim (Harald Martens) ist das etwas verzogene Nesthäkchen. Mit seinen Streichen und Schulproblemen hält Jockeli die Familie in Atem.
Kleine Sorgen - stetiger Aufstieg
Die Ereignisse im Leben der Familie Schölermann entsprechen den Erfahrungen vieler Zuschauer. Vater Matthias hat als Angestellter ein gutes Auskommen, bevor er arbeitslos wird und schließlich wieder Erfolg im Beruf hat. Das neu erbaute Eigenheim ersetzt die Wohnung, Heinz kauft sich einen Gebrauchtwagen und Eva heiratet. Auch die Ferienziele spiegeln die gesellschaftlichen Entwicklung wider. Vom Schrebergarten geht es über Ostsee und Nordsee schließlich 1958 auf eine Schiffsreise nach Las Palmas.
Drehort Luftschutzbunker
Vorbild für die "Schölermanns" sind Serien im Hörfunk, die von den Zuhörern sehr gut angenommen werden, sowie US-amerikanische Vorbilder. Essberger erinnert sich 2006: "Der damalige Intendant Dr. Preißel meinte, es muss wohl so wie in Amerika auch hier mal eine Familienserie gestartet werden." Gedreht wird in Hamburg - zunächst im Luftschutzbunker am Heiligengeistfeld, ab 1955 im Fernsehstudio Lokstedt. Viele Beteiligte wie Regisseur Essberger, die Autoren Alexandra und Rolf Becker sowie der Schauspieler Charles Brauer gehören in den folgenden Jahrzehnten zu den prägenden Figuren des deutschen Fernsehens.
Nachdem die Serie nach den ursprünglich 75 geplanten Episoden noch zwei Jahre weiter läuft, ist 1960 - nach 111 Folgen - endgültig Schluss für die "Schölermanns". Ihre Werte empfinden viele Zuschauer als spießig und überholt. Sie machen einer neuen, etwas moderneren TV-Familie Platz: den "Hesselbachs".