Sendedatum: 29.02.2012 23:30 Uhr

Spionage statt Recherche? Wikileaks-Enthüllung

London, Montagmorgen: Julian Assange, der schillernde Gründer der Enthüllungsplattform Wikileaks, gibt eine Pressekonferenz. Es geht um über fünf Millionen interne E-Mails des privaten Informationsdienstes Stratfor. Ist es ein großer Coup oder eher der Versuch, nochmal ins Gespräch zu kommen? Der NDR kooperiert mit Wikileaks und hat die Mails vorab erhalten und ausgewertet. Klar, Assange will sich ins Gespräch bringen. Doch die Dokumente legen tatsächlich nahe, dass Stratfor außerhalb jeglicher Kontrolle agiert und mit sensibelsten Informationen handelt.

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Das Geschäft der US-Firma Stratfor, einem privaten Informationsdienst, sind geopolitische Analysen. Ob Newsletter oder maßgeschneiderte Berichte für Weltkonzerne, Stratfor präsentiert sich wie ein Medienunternehmen, das mehr liefert als andere Medien. So erklärt der Geschäftsführer George Friedman in einem Werbevideo: "Eine Zeitung soll erklären: Wer, was, wo, wann und wie. Das gilt auch für eine 'Intelligence Organisation'. Wichtiger ist aber, dass sie erklärt, warum etwas passiert ist und was als nächstes passiert. Das ist genau der Unterschied zwischen Stratfor und einer journalistischen Organisation." (dt. Übersetzung)

Ein umstrittener Hack auf die Server der Firma, angeblich durch Anonymous-Aktivisten, lenkt Ende Dezember weltweit die Aufmerksamkeit auf die Stratfor. Wikieaks hat nun angefangen, Auszüge aus fünf Millionen internen Stratfor-E-Mails zu veröffentlichen. Sie geben Einblick in eine sonst verschlossene Branche und deren Methoden. Auf einer Pressekonferenz meint Julian Assange von Wikileaks: "Die Industrie privater Nachrichtendienste ist eine Verlängerung der staatlichen Nachrichtendienste,  hat aber keine Kontrollmechanismen. Darum passieren hier die schmutzigsten Dinge." (dt. Übersetzung)

"Wir machen es, wie es uns passt"

Für ihre Analysen sammeln Stratfor-Mitarbeiter Informationen weltweit. Dabei verwendet die Firma nach eigener Aussage offen zugängliche Quellen. Doch interne Mails, die der NDR in Kooperation mit Wikileaks zeigt, legen nahe, dass Stratfor auch verdeckt operiert, das heißt, die Mitarbeiter geben sich ihrem Gegenüber nicht immer zu erkennen. Laut einer internen E-Mail schreibt der Chef von Stratfor selbst: "Wir machen es, wie es uns passt.  Die Quelle wird möglicherweise nie erfahren, dass sie eine Quelle war, das ist die Definition von geheim."(Quelle: E-Mail CEO Stratfor George Friedman, 30. März 2009)

Ein privates Unternehmen, das im Geheimen operiert, ist für Experten hochproblematisch. Tim Shorrock, Autor des Buches "Spies For Hire”, sagt: "Das ist ganz klar eine Art von Spionage. Die Liste der Stratfor-Quellen in Pakistan liest sich für mich wie ein 'who is who', wie ein Handbuch von einem CIA-Büro in diesem Land." (dt. Übersetzung).

Hunderte Quellen weltweit führt Stratfor in Listen, vom Chauffeur über den Sterne-General bis hin zu Regierungsmitgliedern. Und glaubt man den E-Mails, weiß Stratfor viel. Drei Beispiele dafür sind:

  • Eine Quelle aus einem Armee-Hauptquartier in Pakistan liefert Minutenprotokolle eines Hubschraubereinsatzes: "26 Luftartilleriegeschosse abgefeuert durch unsere Truppen gegen Helikopter  [...]  Kampfhandlungen von beiden Seiten dauerten mit Unterbrechungen 02:15 Stunden".

  • Details zu einer angeblichen Erkrankung des türkischen Premierministers Erdogan, von einer Quelle aus dem Regierungsberaterkreis.

  • Stratfor erfährt aus einer mexikanischen Militärquelle auch Interna zu brisanten Drohnen-Geschäften.

Tim Shorrock: "Es gibt in diesem Bereich keinerlei Kontrollen. Staatliche Geheimdienste werden zumindest etwas kontrolliert. Im Fall einer amerikanischen Geheimoperation muss der Geheimdienst zum Beispiel den Kongress unterrichten."

Stratfor: Ein privater Dienst außer Kontrolle?

Wenig zimperlich geht Stratfor offenbar bei der Beschaffung seiner Informationen vor. Laut einer Mail des Stratfor-Chefs an eine Mitarbeiterin empfiehlt er: "Wenn Sie vermuten, dass diese Quelle wertvoll ist, dann müssen Sie Kontrolle über sie erlangen. Finanzielle, sexuelle oder psychologische Kontrolle." (Email George Friedman, CEO Stratfor).

Das sind beängstigende Methoden, auch für Kontrolleure deutscher Geheimdienste wie Hans-Christian Ströbele (Die Grünen). Er ist Mitglied des Parlamentarischen Kontrollgremiums und meint: "Es sind auch die Art der Informationen und das Eindringen in die Privatsphäre von Bürgerinnen und Bürgern, das gleich ist oder gleichzusetzen ist mit dem, was Geheimdienste machen, was geheimdienstliche Agenten so treiben."

Zu den Vorwürfen gibt es von Stratfor kein Interview. In einem öffentlichen Videostatement beteuert Unternehmens-Chef Friedman: "Wie wir schon zuvor gesagt haben: Stratfor hat daran gearbeitet, gute Quellen in vielen Ländern weltweit aufzubauen, wie es jeder Herausgeber geopolitischer Analysen tun würde. [...] Wir sind den höchsten professionellen und ethischen Standards verpflichtet." (dt. Übersetzung).

Stratfor, ein seriöser Informationsdienst? Die internen E-Mails zeigen ein anderes Bild. Der Druck auf Stratfor wächst, zumal Wikileaks weitere Veröffentlichungen angekündigt hat.

Dieses Thema im Programm:

ZAPP | 29.02.2012 | 23:30 Uhr

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