Sendedatum: 01.09.2010 23:05 Uhr

Das PR-Desaster von Stuttgart 21

von Grit Fischer

Da ist ja was los in Stuttgart. Hätte man den braven Schwaben erst einmal gar nicht so zugetraut, dass sie sich so gegen ihre Oberen auflehnen und das ein Bahnhof, so teuer er auch sein mag, so viele wütende Bürger auf die Straßen treibt. Damit ist Stuutgart21 bundesweit ein Thema geworden. Spätestens jetzt wäre es für die Befürworter ein geeigneter Moment gewesen, mal ein paar gute Argumente für das Projekt an die Medien zu spielen. Aber irgendwie hat man das verpennt. Und nun fliegen die Sympathien bundesweit eben den Protestlern zu. Zapp über das PR-Desaster Stuttgart 21.

 

Das soll die Zukunft sein: ein durchgestylter High-Tech-Hauptbahnhof für Stuttgart. Doch die Gegenwart versinkt im Chaos. Zehntausende demonstrieren seit Wochen gegen das Milliarden-Projekt. Eine Stadt im Widerstand, ausgerechnet im Musterländle.

Josef-Otto Freudenreich, freier Journalist und Autor, meint: "Wir haben hier tatsächlich Studenten, wir haben Porschefahrer, wir haben Perlenkettenwitwen vom Killesberg, wir haben Hartz-IV-Empfänger, wir haben Studienräte, also alles, was eigentlich in der Mitte der Gesellschaft zuhause ist. Und darauf, glaube ich, fahren auch eben jetzt überregionale Medien ab."

 

Stuttgart 21 ist nun das Thema. Beinahe täglich berichten die Medien über den "Stuttgarter Aufstand" (Welt am Sonntag, 22.08.2010) und die "Bürgerliche Revolte" (Der Spiegel, 23.08.2010). Die Journalisten staunen, wie eine "Stadt entgleist" (Süddeutsche Zeitung, 07.08.2010) und eine "Schwaben-Rebellion"(Berliner Zeitung, vom 02.08.2010) losbricht. Josef-Otto Freudenreich: "Das Klischee des Schwaben, der da brav und bieder ist und seine Kehrwoche macht, ist in der Tat weit verbreitet, stimmt zwar schon längst nicht mehr, aber es ist offensichtlich aus den Köpfen der Kollegen in den überregionalen Medien nicht rauszukriegen."

Hannes Rockenbauch, Gegner von Stuttgart 21, meint: "Ich bin überrascht, dass es so viel Solidarität der Stuttgarter Bürgerinnen und Bürger gibt. Und jetzt natürlich, wenn dann Zehntausende auf die Straße gibt, ist das natürlich auch spannend für die Medien. Wir hätten es uns natürlich auch schon früher gewünscht, weil unser Widerstand geht ja jetzt schon fast 13, 14 Jahre."

Ein bekanntes Prestigeprojekt

Denn schon 1994 wurde das Projekt Stuttgart 21 besiegelt. Der alte Kopf-Bahnhof soll zum Durchgangsbahnhof werden,  unterirdisch. Und ins 100 Kilometer entfernte Ulm soll eine neue Trasse führen. Die Stuttgarter Medien haben das schwäbische Prestige-Projekt jahrelang wohlwollend begleitet.

Josef-Otto Freudenreich, ehemaliger Chefreporter der Stuttgarter Zeitung, erzählt: "Wenn Ministerpräsidenten, Oberbürgermeister, Bahnchefs, der Chef von Daimler, der Chef von Porsche, wenn die alle sagen, Stuttgart 21 ist ein großartiges Projekt, dann wird eine Presse, die am Ort ist, sich äußerst schwer tun, zu sagen, 'wir halten das aber für ein ganz schlechtes Projekt'. Man spricht da ja auch von einer Blattlinie, die da da ist."

Hannes Rockenbauch: "Vor allem auf der Argumenten Seite waren immer nur die Befürworter vertreten und fast deren Pressemitteilungen abgeschrieben. Aber seit dem Bürgerbegehren mit 67.000 Unterschriften gibt es auch immer wieder Journalisten, die sich getrauen, kritisch zu urteilen."

 

Deutlicher Widerstand

Am Widerstand der Bürger kommen auch die lokalen Medien nicht mehr vorbei. Trotzdem bleibt Stuttgart 21 für sie ein Dilemma. Josef-Otto Freudenreich: "Die haben ein großes Problem mit Stuttgart 21. Es liegt daran, dass sie über viele Jahre sich im Grunde als Herold für das Projekt verstanden haben und sehr spät, ich würde sagen, fast zu spät bemerkt haben, was hier an Protest sich organisiert. Wenn Sie heute 50.000 auf der Straße haben, sind das alles Leser."

Und es werden immer mehr, täglich. Die Gegner sind die Meister der Mobilsierung. Sie haben sich in den Mittelpunkt der Öffentlichkeit gebracht, haben das Thema für sich besetzt. Hannes Rockenbauch: "Auf ganz vielen unterschiedlichen Wegen jetzt inzwischen, über natürlich das Netz, das ist klar, da ist eine kleine Gegenöffentlichkeit entstanden. Aber das wichtigste und das, was auch die Widerstand ausmacht, dass man sich begegnen kann, dass man sich vorm Tor trifft, das man diskutier t miteinander, dass man sich anschauen kann."

Lucas-Pierre Bessis von der Werbeagentur BPPA erklärt: "Sie machen es intuitiv absolut richtig. Das heißt, es werden alle Kanäle genutzt, über Social Networks, gerade Facebook spielt eine sehr zentrale Rolle, aber auch über Youtube wird fast täglich ein neues Video reingestellt."

Falsche Kommunikation für das Projekt?

Lucas Bessis ist kein Gegner. Er ist für Stuttgart 21. Für den Agenturchef ist es völlig unverständlich, wie die Verantwortlichen des Projekts den Gegnern das Feld so überlassen konnten: "Da hat man mal wieder so ein Beispiel wie wichtig Kommunikation ist, gerade in einer Gesellschaft, die medialer denn je ist. Dass man da diese Kommunikationskarte nicht entdeckt hat und man sich da nicht bewusst war, dass man sofort auch kommunizieren muss und zwar bei jeden Projektstatus, wo man ist, und da umfangreich und in die Breite. Da hat man eine große Chance vergeben."

Dabei wurde sogar ein Kommunikationsbüro eingerichtet. Für Zapp hatte hier niemand Zeit. 15 Mitarbeiter aber sollen den neuen Bahnhof ordentlich vermarkten. Eigentlich. Josef-Otto Freudenreich: "Die Frage ist halt, was machen die? Und ich hab den Eindruck bisher machen sie so ziemlich alles falsch."

Ihr Plan war eine Plakatkampagne. Die Stuttgarter sollten vom Bahnhof mit guten Argumenten. überzeugt werden. Eine Kampagne mit viel Schrift: Es stimmt, dass Stuttgart 21 mit 4,1 Milliarden Euro eine teure Angelegenheit wird. Es stimmt aber auch, dass die Region nur dafür Milliarden von Bahn, Bund, Land und EU bekommt. Viele Argumente und Gegenargumente auf vielen Plakaten.

Doch die guten Argumente kamen nicht so gut an

Lucas-Pierre Bessis: "Wenn ich jetzt so eine Kampagne fahre, in der ich jetzt wirklich zeige, was ich denn Blödes machen werde, sprich 'ja es stimmt, wir holzen jetzt 280 Bäume ab', dann weiß jeder, 'ach die haben das wirklich vor, es kann ja auch nur ein Gerücht gewesen sein'. Und dann liest der schon gar nicht mehr weiter beziehungsweise liest mit einer negativen Haltung weiter, 'ja, sie werden aber auch neue pflanzen'. Das ist unvorteilhaft und unglücklich, weil ich damit auch immer mit meinem teuer Geld für den Gegner Werbung mache." Die Gegner nehmen die Werbebotschaft der Befürworter gern auf und nutzen sie spektakulär für sich. So kommt man in die Medien. Das Großprojekt Stuttgart 21  ist ein PR-Desaster.

Lucas-Pierre Bessis: "Da ist man, wenn man das sagen kann, old-school vorgegangen sozusagen. Was die letzten 50 Jahre richtig war, ist auch immer noch richtig, so auf die Art, und hat einfach diese Kraft der neuen Medien unterschätzt." Hannes Rockenbauch: "Die haben es natürlich sehr schwer, weil sie müssen ein Projekt, das die Bürgerinnen und Bürger für schlecht empfunden haben, müssen sie plötzlich für gut verkaufen. Und wir sind inzwischen in der Aufklärung so weit, dass die Bürgerinnen und Bürger nicht noch eine neue Werbekampagne wollen."

Dabei schien doch alles so perfekt, als sich der damalige Ministerpräsident Günther Öttinger (CDU) und Bahnchef Rüdiger Grube für die neue Zukunft in Stuttgart in Szene setzen. Wie konnte ihnen ihr Milliarden-Projekt so um die Ohren fliegen? Josef-Otto Freudenreich: "Weil man ihnen nicht glaubt, das ist das große Problem. Sie sehen ja, wenn Sie an den Bauzaun gehen, überall 'Lügenpack' stehen. Das ist ihr großes Problem, dass sie in ihrer Information nicht mehr glaubwürdig rüberkommen. Und da wird es äußerst schwer werden, wenn nicht gar unmöglich, diesen Zustand zu ändern."

Die Gegner werden weiter demonstrieren. Die Medien haben sie auf ihrer Seite. Zumindest, solange die Befürworter von Stuttgart 21 so sprachlos bleiben.

 

 

Dieses Thema im Programm:

ZAPP | 01.09.2010 | 23:05 Uhr

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