Sendedatum: 11.08.2010 23:05 Uhr

Seiberts Rückkehrrecht zum ZDF

von Anne Ruprecht, Jasmin Klofta

Er ist ab heute Merkels Moderator, Steffen Seibert. Statt den ZDF-Zuschauern wird er die Welt von nun an seinen Ex-Kollegen erklären, den Journalisten. Von A wie "Afghanistan bis Z wie Zwist in der Koalition. Also, fast wie bisher, aber eben genau anders herum." (*) Und Merkels bisheriger Sprecher, Ulrich Wilhelm, der darf sich auf seinen neuen Posten als Intendant des Bayerischen Rundfunks freuen. Es herrscht also ein reger Austausch zwischen Politik und öffentlich rechtlichem Rundfunk.

Steffen Seibert, 2008 © picture-alliance/dpa Foto: Erwin Elsner
Seit dem 11. August ist Steffen Seibert Regierungssprecher

Steffen Seibert ist eines der Aushängeschilder des ZDF, seriös, glaubwürdig - ein politischer Journalist mit Ambitionen. Im Heute Journal sagte Steffen Seibert einmal: "Guten Abend: Man wäre heute gerne stiller Zuhörer am Merkelschen Frühstückstisch gewesen. Da hat vielleicht der neue Spiegel gelegen und die üblichen Sonntagsblätter." Mit ihr, Angela Merkel (CDU), wird er künftig hier an diesem Tisch in der Bundespressekonferenz zusammensitzen, ganz nah dran an der Macht. Ab heute ist Steffen Seibert Merkels neuer Regierungssprecher. Er nennt das eine "faszinierende neue Aufgabe" für einen leidenschaftlichen Journalisten wie ihn.

Steffen Grimberg, Medienredakteur der "taz", meint: "Er hat ein Bild von einem Journalismus, wo beides geht, wo man also auf beiden Seiten dieses berühmten sprichwörtlichen Tisches agieren kann, mal als Verkäufer von Nachrichten und mal als Käufer, als Konsument von Nachrichten, der das dann an die breitere Öffentlichkeit vermittelt, also als Journalist. Und das ist natürlich eher mal eine problematische Auffassung." Und Dirk Kurbjuweit, Leiter des Hauptstadtbüros des " Spiegels", sagt: "Er wechselt die Seite und wir als Journalisten betrachten ja eigentlich Politik, jetzt muss er Politik verkünden. Und das finde ich ist etwas, was finde ich überhaupt nicht zum Journalismus passt."

Er, Klaus Bölling, gilt bis heute als einer der einflussreichsten Regierungssprecher (1974-1980). Auch er kam einst vom öffentlich-rechtlichen Rundfunk und wurde der Vertraute von Helmut Schmidt. Wie kaum ein anderer beherrschte er das Geschäft. Denn er wusste, dass es mit leidenschaftlichem Journalismus wenig gemein hat: "Es gibt Situationen, in denen man nicht die ganze Wahrheit, sondern nur die dosierte Wahrheit in der Öffentlichkeit, den Journalisten mitteilen kann. Da kommt es schon mal vor, dass ein Paket, in dem nicht sehr viel Inhalt ist, mit ein paar Schleifchen dekoriert."

Vom Regierungssprecher zum Intendanten

Auch Ulrich Wilhelm dekorierte mit vielen Schleifchen. Fünf Jahre lang verkaufte er Merkels Regierungspolitik, immer freundlich, immer optimistisch. In den Bundespressekonferenzen fielen Sätze wie "aus Sicht der Bundeskanzlerin und der Bundesregierung ein positives Signal [...]", "dass am Ende eine gemeinsame aber auch gute Lösung stehen muss [...]" oder "für uns stellt sich das als eine gute Lösung dar".

Der smarte Wilhelm wurde von Journalisten sehr geschätzt. Doch nun wechselt auch er die Seiten. Und wird wieder einer von ihnen. An der Spitze des Bayerischen Rundfunks. Dirk Kurbjuweit: "Er hat wirklich intensiv, leidenschaftlich für Angela Merkel gesprochen. Dass er jetzt zum BR geht und Angela Merkel kontrollieren soll, als Chef einer journalistischen Anstalt, das ist mir eine Metamorphose, die geht zu weit und die ist auch so schnell in meinen Augen nicht zu machen."

Beim BR will Wilhelm seinen Intendantenposten erst im Februar antreten, nach einer Anstandspause. Kritiker beschwichtigt er mit geübtem Optimismus. In einem Interview sagte er: "Ich glaube aber auch, dass ich durch meinen bisherigen Lebensweg und auch durch die Art und Weise wie ich mit Medien umgegangen bin, auch Gewähr biete, dass das bei mir in guten Händen ist."

Steffen Grimberg: "Ein Sprecher lernt führende Persönlichkeiten der Politik, die Bundeskanzlerin, Minister, auf eine ganz andere Art und Weise kennen, kennt ihre Schwächen, weiß um Fehler, hat viele Insiderkenntnisse, die er als Journalist hinterher ja nutzen müsste. Das verbietet aber diese Loyalität."

Ein besonderes Verhältnis

Loyal war auch Klaus Bölling, sechs Jahre lang an der Seite von Helmut Schmidt. Denn nur die bedingungslose Treue sichert den Zugang zur Macht. Er meint: "Wir kannten einander, wir vertrauten einander, und wenn das nicht nach Angeberei klingt in Ihren Ohren: Ich war mit der Gedankenwelt dieses Hamburgers wirklich vertraut."

Thomas Steg, stellvertretender Regierungssprecher von 2002 bis 2009, erzählt: "Man versteht sich fast blind. Der Sprecher muss sich hineinversetzen können in den Spitzenpolitiker oder in die Spitzenpolitikerin, er muss wissen, wie sie tickt, warum sie so tickt, was sie vorhat. Er muss im Grunde genommen wissen, was sie machen möchte, bevor sie es selbst ahnt."

Der Weg zurück bleibt offen

Ein langer Weg für einen Neuling im Berliner Medienzirkus, der sich seinen Platz an der Seite der als misstrauisch bekannten Merkel erst erarbeiten muss. Steffen Seibert aber hat sich eigentlich entschieden. Für die Nähe zur Macht und gegen den Journalismus. Und dennoch hat er sich vom ZDF ein Rückkehrrecht vertraglich zusichern lassen. Das sei so üblich, sagt das ZDF. Doch im Sender sind viele entsetzt. Seibert selbst schweigt in eigener Sache. Dirk Kurbjuweit: "Das wirkt ja so, als könnte man wirklich ganz natürlich erst mal Journalist sein, dann Regierungssprecher und dann auf jeden Fall wieder Journalist werden, egal was man da als Regierungssprecher da so getrieben hat." Und Thomas Steg sagt: "Es gibt, glaube ich, Positionen und berufliche Angebote, da sollte man sich nicht rückversichern. Und man tritt Reisen an, ohne eine Rückfahrkarte zu kaufen. Und diese Reise von Mainz nach Berlin hätte er ohne Rückfahrkarte besser machen sollen."

Auch bei der ARD sind Rückfahrkarten nicht generell ausgeschlossen. Auf Zapp Anfrage erklären acht von neun Anstalten, dass bei ihnen ein Rückkehrrecht für Sprecher nicht festgeschrieben sei. Jeder Einzelfall müsse geprüft werden. Beim NDR gab es vor Jahren einen Fall - hier wurde kein Rückkehrrecht gewährt. Nur der RBB hat für solche Fälle eine eindeutige Haltung: Es gibt kein Zurück: "Wir sind der Ansicht, dass man nach solch einer herausgehobenen politischen Tätigkeit nicht weiter in seinem Metier im öffentlich-rechtlichen Rundfunk arbeiten kann."

Sie aber, Steffen Seibert und Ulrich Wilhelm, meinen, dass sie das können. Erst schönreden, dann aufklären, nah dran sein, dann Distanz wahren, loyal sein und dann enthüllen. Thomas Steg: "Die Unabhängigkeit des öffentlich-rechtlichen Rundfunks wird jetzt wieder kritischer gesehen und das finde ich bedauerlich." Und Dirk Kurbjuweit: "Im Moment aber wird ein Eindruck verbreitet, als sozusagen gäbe es, wäre das sozusagen eine Bruderschaft. Das ZDF und die Politik oder das öffentlich-rechtliche Fernsehen und die Politik sind eine Bruderschaft. Da kann man einmal die eine Position ausfüllen, dann wieder die andere und dann kommt man zurück, als sei das alles das gleiche."

Aber es ist eben nicht das gleiche. Es ist genau das Gegenteil. Klaus Bölling: "Wenn manche Leute heute sagen, die öffentlich-rechtlichen Anstalten kommen in den Ruf, dass sie sozusagen die Casting-Agentur des Staates sind, gut das macht einen jedenfalls etwas nachdenklich. Also ich hatte keine Rückversicherung."

(*) Anmerkung der Redaktion: Quelle: "Steffen Seibert betritt die Welt der Intriganten", Welt, 11.08.10.

Dieses Thema im Programm:

ZAPP | 11.08.2010 | 23:05 Uhr

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Steffen Seibert, 2008 © picture-alliance/dpa Foto: Erwin Elsner
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