Sendedatum: 29.09.2010 23:05 Uhr

Der Machtkampf bei "Wikileaks"

von Daniel Bröckerhoff, Ajmone Kuqi

Sie veröffentlicht gezielt, was andere geheim halten wollen: die Internetplattform Wikileaks. Vor einem Jahr noch kannte sie kaum jemand. Inzwischen sind die Macher der Schrecken vieler Geheimdienste und wichtige Quelle für Journalisten aus aller Welt. Doch jetzt wird Wikileaks selbst zum brisanten Thema. Einer der Macher steigt aus und hat Zapp dazu sein bislang einziges Fernseh-Interview gegeben.

 

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Diese beiden haben es geschafft: Julian Assange und Daniel Schmidt,. Die einzigen bisher bekannten Gesichter von Wikileaks. Auf dem Jahres-Treffen des "Chaos Computer Club"  2009 feiert die Internetgemeinde das Projekt begeistert. Und jetzt plötzlich der Rückzug von Daniel Schmitt. In einem Spiegel–Interview ("Mir bleibt nur der Rückzug", 27.09.2010) kritisiert er seine Mitstreiter scharf und gibt seinen wahren Namen preis. Er meint dazu, "an dem Zeitpunkt, wo ich dann suspendiert wurde, hat sich einer mit seiner Meinung durchgesetzt, gegen den Wunsch von allen anderen. Das hätte ich so nicht erwartet."

Denn Wikileaks ist so erfolgreich wie nie zuvor. Der endgültige Durchbruch ist die Veröffentlichung des "Colleteral Murder Video" am Ostermontag 2010. Der Mitschnitt aus einem amerikanischen Kampf-Hubschrauber zeigt, wie Zivilisten im Irak erschossen werden. Kurz darauf veröffentlicht Wikileaks 75.000 Dokumente der US-Militärs aus dem Afghanistan-Krieg. Sie belegen die Zusammenarbeit des pakistanischen Geheimdienstes mit den Taliban und die Existenz von US-Geheimkommandos. Große Medien weltweit berichten über die Enthüllungen von Wikileaks.

Der Tagesspiegel-Redakteur Harald Schumann erklärt: "Nicht nur, dass sie dafür gesorgt haben, dass im Afghanistan-Krieg noch mal viel genauer hingeguckt wird von vielen Medien, das war ja ein wesentliches Ergebnis, sondern darüber, dass sie dieses Video veröffentlicht haben über diesen Angriff da in Bagdad, haben sie auch viel mehr Menschen sensibilisiert für das, was da unten eigentlich stattfindet, als so gewöhnlicher Journalismus das bisher vermocht hat."

 

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Die Welt transparenter machen

Seit 2007 existiert die Internetseite für den Geheimnisverrat. Ihr Ziel: Die Welt transparenter und dadurch besser machen. Jeder, der an geheime Dokumente gelangt, kann sie bei Wikileaks hochladen. Aktivisten überprüfen die Echtheit und stellen dann alles ins Internet. "Wikileaks ist ein extrem wichtiges und extrem erfolgreiches Projekt. Die Idee, die dahinter steht, halte ich für ausgesprochen wichtig für die Gesellschaft und auch die Zukunft unserer Gesellschaft und dementsprechend halte ich den Erfolg, den das Projekt hat, auch als eine relativ natürliche Sache", meint Domscheit-Berg. Für Schumann hat Wikileaks  "dem Journalismus ein bisschen Beine gemacht. Die große Frage war ja, 'warum sind wir eigentlich nicht selber drauf gekommen?' Eine solche Plattform anzubieten, warum mussten irgendwelche Computeraktivisten so eine Plattform bauen, dass können die Medien ja auch selber tun".

Tun sie aber nicht, sondern stürzen sich auf Wikileaks.  Die Aktivisten erhalten immer mehr eine Bühne und geheime Dokumente. Doch es fehlt an Zeit und Mitstreitern, um alles zu bearbeiten. Der Gründer Assange will noch mehr veröffentlichen. Er verspricht immer neue Enthüllungen – zum Unmut von Daniel Domscheit-Berg. Er, und wie er meint auch viele seiner Mitstreiter, sieht sein ursprüngliches Ziel, alle Dokumente gleich zu behandeln, gefährdet: "Der Fokus liegt weiterhin auf politisch sehr schwierigen Veröffentlichungen und diese schwierigen politischen Veröffentlichungen ohne einen strukturellen Hintergrund sind aus meiner Sicht eigentlich so verantwortungslos."

Denn viele Dokumente enthalten Klarnamen und Adressen, aber es fehlt die Zeit und genügend Leute, bestimmte sensible Daten zu schwärzen. Auf Twitter wehrt Wikileaks offene Kritik ab. Geißelt Kritiker als "Morons", "Idioten" oder "Bad Journalists", schlechte Journalisten - der Absender ist mutmaßlich Assange.

Harald Schumann findet das "im hohen Maße unprofessionell. Und es erzeugt vor allen Dingen kein Vertrauen. Ich glaube Julian Assange ist sich nicht richtig im Klaren darüber, wie wichtig eigentlich dieser Vertrauensfaktor für dieses Projekt ist und dass er ständig quasi darauf rumtrampelt." Auch öffentlich tritt Assange wenig demütig auf. Bei einer Veranstaltung sagt er: "Ist es nicht traurig, dass die restliche Weltpresse so einen schlechten Job macht, dass eine kleine Gruppe von Aktivisten mehr solcher Dokumente veröffentlichen kann als die Weltpresse zusammen." (Übersetzung -  Quelle: Youtube)

Anschuldigungen gegen Assange

Im August ist der Name Assange wieder in allen Medien. Zwei Schwedinnen beschuldigen ihn der Vergewaltigung. Assange spricht in einem Telefo-Interview mit Al-Jazeera von einer "Smear Campaigne", einer Schwierenkampagne. Wikileaks twittert,  dass es sich um "dirty tricks", um "schmutzige Tricks" handeln müsse.

Domscheit-Berg: "Man kann diesen Vorwürfen, ob sie nun fundiert sind oder nicht, eigentlich nur entgegnen, indem man es ernst nimmt  und indem man sich zurück zieht und man sagt, dass man sich der Verteidigung gegen diese Vorwürfe widmet und den Schaden von der Organisation auf der anderen Seite abwendet. Und das ist eben auch so nicht passiert."

 

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In einem Chat-Gespräch, das ein US-Blog später online stellt, kommt es zum offenen Bruch zwischen Domscheit-Berg und Assange. Der wird zitiert: "Du bist suspendiert für einen Monat ab sofort." Ein Tiefpunkt. Assange selbst äußert sich nicht in den Medien dazu, auch nicht auf Zapp-Anfrage per E-Mail.

Schumann: "Der Eklat war von Anfang an in der Strukur angelegt. Julian Assange und seine Helfer haben von Anfang an eben nicht darauf geachtet, dass sie Entscheidungsstrukturen bilden, die auch im Konfliktfall arbeitsfähig sind, sondern sie haben einfach mehr oder weniger naiv und blind darauf vertraut, dass man sich schon irgendwie, immer einigen wird."

Mit Domscheit-Berg sollen weitere Aktivisten das Projekt verlassen haben. Das könnte Wikileaks viel Vertrauen kosten, das größte Kapital. "Ich würde unter den heutigen Bedingungen meiner Redaktion oder meinen Informanten nicht dazu raten, jetzt weitere Informationen in ein schwarzes Loch zu werfen von dem niemand weiß, ob am Ende publiziert wird oder nicht", meint dazu Schumann.

Wie es mit Wikileaks weitergeht ist jetzt völlig offen. Das Vertrauen in seine Person und in das Projekt muss Julien Assange nun wieder herstellen. Aber wie es auch ausgeht, ein Wert bleibt.

Schumann: "Die Idee ist in der Welt, die Technologie ist verfügbar und es gibt sehr viele Leute, die ein Interesse daran haben, das kann man ja sehen am hohen Spendenaufkommen, dass es gegeben hat."

Domscheit-Berg: "Es gibt überall auf der Welt ähnliche Projekte, zumindest Bestrebungen, ähnlich gelagerte Projekte zu schaffen. Und es ist insgesamt so etwas wie ein Wandel in der Gesellschaft erkennbar. Und das halte ich für die wichtigste Sache, die das Projekt auslösen konnte."

 

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ZAPP | 29.09.2010 | 23:05 Uhr

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