ARD + ZDF und Verleger: Online-Frieden?
Es war das Wochenende der Online-Journalisten. Freitag der Rücktritt von Christian Wulff und Sonntagabend bereits der neuen Bundespräsidenten-Kandidat. Das ging flott. Für die gedruckte Presse zu flott, unmöglich das noch groß ins Blatt zu kriegen. Aber im Internet, da war alles zu Joachim Gauck sofort abrufbar: Portraits, Hintergründe, Bilder. Da merkte man mal wieder: Das ist der Markt der Zukunft. Und deswegen gibt es darum Streit. Seit Jahren rangeln die Verleger mit den öffentlich-rechtlichen Sendern darum, wer die Macht im Internet hat. Wer was wie veröffentlichen darf. Eine Narretei, die nur zum Nachteil der Leser und der online-Journalisten ausgehen kann.
Während am Faschingsdienstag in Köln die Jecken auf der Straße Karneval feiern, trifft sich hier irgendwo in der Stadt eine kleine, aber hochkarätige Runde von Intendanten und Verlegern hinter verschlossenen Türen. Es geht um die Frage, wer in Zukunft was im Internet machen darf und was nicht. Für die Öffentlich-Rechtlichen sitzen am Verhandlungstisch die ARD-Vorsitzende und WDR-Chefin Monika Piel, NDR Intendant Lutz Marmor, Bayrischer Rundfunk-Chef Ulrich Wilhelm und ZDF-Intendant Markus Schächter. Für die Verleger sind dabei Helmut Heinen, Präsident des Zeitungsverlegerverbands, Christian Nienhaus von der WAZ-Gruppe und Roland Gerschermann von der "Frankfurter Allgemeine Zeitung". Auslöser der Gespräche ist der Streit um die Tagesschau-App.
Im vergangenen Juni hatten acht Zeitungsverlage, darunter die WAZ-Gruppe und die "Süddeutsche Zeitung", vor dem Landgericht in Köln Klage gegen die Tagesschau-App eingereicht. Die stark frequentierte App, die sich aus der Tagesschau.de-Seite speist, enthält neben Videos- und Audios auch Texte zum Beispiel in Form von Meldungen und Hintergrundartikeln. Dieses Angebot war den Verlegern zu "presseähnlich" und damit ein Dorn im Auge. Der Vorwurf vor Gericht deshalb: Die ARD trete mit ihrer kostenlosen App in einen unlauteren Wettbewerb mit den teilweise jetzt schon kostenpflichtigen Apps der Verlage. Das Gericht forderte im Oktober beide Parteien auf, sich gütlich und außergerichtlich zu einigen. Es empfahl, zu einer "gemeinsamen Erklärung“ zu kommen.
Gespräche über Grundsätzliches
Seitdem laufen die Gespräche. Zur Debatte steht nicht nur die Tagesschau-App, sondern eigentlich das Abstecken von Grenzen im Netz.
Steffen Grimberg, Medienjournalist der "taz“: "Es geht sogar ausdrücklich, das sagt die ARD-Vorsitzende Monika Piel jedenfalls, gar nicht um die Tagesschau-App, sondern um das gesamte Angebot, damit also auch wieder um Tagesschau.de und so weiter und so fort. Und dort ist eben der alte Streit, was dürfen die Öffentlich-Rechtlichen an Texten vor allen Dingen im Netz einstellen. Die Verlage sagen: Text, das ist unser Ding, Text, das ist Zeitung, ihr seid Fernsehen, ihr seid Radio, also Audio und Video. Und darum tobt, wenn man so will, eigentlich seit Anfang an der Streit.“
Ein erster Zwischenstand der Verhandlungen sickerte Ende Januar durch. Zitiert wurde in der Presse aus einem Entwurf für die gemeinsame Erklärung. Der Tenor: ARD und ZDF sollen sich in der Anmutung ihrer Internet-Auftritte schwerpunktmäßig auf Video- und Audioinhalte konzentrieren. Im Gegenzug sollen für die Online-Ableger der Zeitungen Texte und Fotos Vorrang haben.
Nach dem Bekanntwerden des Entwurfs meldete sich die Arbeitsgemeinschaft der öffentlich-rechtlichen Redakteursausschüsse mit einem öffentlichen Appell an ihre Intendanten. Darin heißt es: "ARD und ZDF dürfen nicht zulassen, dass ihnen das höchstrichterlich zugebilligte Recht auf Entwicklung im Internet durch die Hintertür wieder genommen wird. (...) Als Arbeitsgemeinschaft der öffentlich-rechtlichen Redakteursausschüsse fordern wir deshalb die Intendantinnen und Intendanten auf, sich eindeutig zu 'tagesschau.de' in seiner jetzigen Form zu bekennen und jeden Vorstoß zurückzuweisen, der die Angebote von ARD und ZDF im Internet beschränken würde.“ (Entwurf, AGRA).
Georg Berg, Sprecher der "AGRA“: "Diese Trennung halten wir für künstlich und halten wir für ein Anlegen von Kriterien von traditionellen Medien an das neue Medium, was überhaupt nicht mehr zeitgemäß ist und was dieser Medienentwicklung überhaupt nicht Rechnung trägt.“
Eckart Aretz, Redakteur bei tagesschau.de und Mitglied des Redakteursausschusses: "Wir befürchten, dass sich unsere Arbeit einschneidend verändern wird. Wenn wir in Zukunft den Schwerpunkt vor allem auf Videos und Audios legen müssen, dann wird das unserer Meinung nach darauf hinauslaufen, dass das Angebot von tagesschau.de irgendwann einmal nicht mehr so aktuell und so hintergründig sein wird, wie es eigentlich ein öffentlich-rechtliches Nachrichtenangebot sein sollte.“
Auf die Verleger zugehen?
Offenbar wurde über die schwierigen Verhandlungen auch Anfang Februar beim Intendanten-Treffen in Erfurt gesprochen. Auf der Pressekonferenz: ein diplomatischer Schulterschluss mit den Verlegern. Man sei sich einig, so Intendantin Piel, "dass wir auch in der digitalen Medienwelt in einer Art Verantwortungsgemeinschaft mit den Verlegern, mit den Zeitungsverlegern sind und zwar in der Verantwortungsgemeinschaft, dass wir gemeinsam dafür sorgen wollen, dass es eine sehr vielfältige Presse weiterhin geben muss in Deutschland“.
Warum die Öffentlich-Rechtlichen so friedfertig auf die Verleger zugehen, auch darüber gibt es Spekulationen. Denn vieles spricht dafür, dass die ARD den Rechtsstreit um die Tagesschau-App eigentlich gewinnen könnte.
Steffen Grimberg: "Man fürchtet wahrscheinlich lange rechtliche Auseinandersetzungen und man hat Angst, dass sich irgendwann die Medienpolitik wieder hilfreich einmischt. (..) Ich glaube, man möchte da tatsächlich eher ungestört erst mal ausprobieren, ob man nicht selber zu Rande kommt."
Wie der Kompromiss am Ende aussehen wird und welche Konsequenzen das ganz konkret für die Online-Journalisten haben könnte, ist noch nicht bekannt. Nach der gestrigen Verhandlung hieß es, eine "zeitnahe Einigung“ sei in Sicht, es gebe aber noch "Abstimmungsbedarf“.
Steffen Grimberg: "Szenario eins ist, wir bekommen da ein Formelkompromiss, bei dem sich jede Seite sozusagen auf die Schulter klopfen kann und sagen kann: 'Wir haben da doch in Wirklichkeit gewonnen. Die anderen sind uns weit entgegen gekommen.' Und im Prinzip macht dann doch wieder jeder seins und spätestens in einem Jahr haben wir den ganzen Streit vielleicht aus einem etwas anderen Blickwinkel gleich wieder. Ich fürchte, dieses Szenario ist gar nicht so weit her geholt. Das andere könnte tatsächlich sein, dass sich Verleger wie Öffentlich-Rechtliche im Netz in dieser gegenseitige Beschränkung erst mal wiederfinden, das dürfte aber dann aber langfristig bei beiden nicht wirklich zum Vorteil gereichen.“
Die gemeinsame Erklärung, die am Ende der Gespräche stehen soll, wäre weder für ARD und ZDF, noch für die Verleger rechtlich bindend, sondern eher eine Art Absichtserklärung.
Eckart Aretz: "Ich befürchte, dass die Konsequenzen eines solchen Kompromisses langfristig doch fatal sein können. Denn auch wenn die Argumentation jetzt lautet, 'wir unterschreiben etwas, was nicht rechtsverbindlich ist und ändern unsere Rechtsposition nicht', bleibt es doch dabei, dass hier eine bestimmte Position festgehalten wird. Und ich befürchte, dass wenn es erneut zu Streit zwischen Verlegern und den Öffentlich-Rechtlichen kommt, und das ist meiner Meinung nach abzusehen, dass wir dann hinter diesen Kompromiss nicht mehr zurückkommen.“
Gut möglich: Die mühsam errungene Einigung von Verlegern und Öffentlich-Rechtlichen könnte zunächst nur für ein Jahr gelten. Nicht ausgeschlossen also, dass das Thema dann wieder hochkocht, wie das jährliche närrischen Treiben in Köln.