Wirbel um "Vergewaltigungsfall" in Berlin
"Berlin: 13-Jährige 30 Stunden lang vergewaltigt", so lautet ein Video, das im Netz die Runde macht. Zu sehen ist der Bericht vom "Ersten Kanal", einem russischen Staatssender unter Kontrolle der Regierung, in dem über eine vermeintliche Vergewaltigung Anfang Januar in Berlin berichtet wird. Die Kommentare unter dem Video sind voll mit Aufrufen zur Jagd auf Ausländer und Flüchtlinge, denn die angeblichen Täter der Gruppenvergewaltigung sollen Flüchtlinge sein - so zitiert das russische Fernsehen die Tante des angeblichen Opfers. Aber: Die Berliner Polizei dementiert. Das verschwundene Mädchen sei "entgegen vieler Berichterstattungen und Gerüchte in sozialen Netzwerken kein Opfer von Entführern" gewesen und wurde "auch nicht vergewaltigt".
Fakt ist: Ein Mädchen wurde vermisst. Polizei dementiert Vergewaltigung
Die "B.Z." hat sich tagelang umgehört, bei der Polizei, aber auch bei der Familie des angeblichen Opfers. Jorin Verges (Chefredaktion von "B.Z."): "Der Fall ist für uns insoweit klar, als dass ein Mädchen vermisst wurde und wieder aufgetaucht ist. Die Umstände dieses Verschwindens sind aus heutiger Sicht überhaupt gar nicht klar. Es gibt diese Gerüchte im Internet. Die Polizei sagt aber ganz klar, dass es keine Entführung war und keine Vergewaltigung. Das sind die Fakten, die es momentan gibt."
Es kommt zu Protesten auf der Straße
In Berlin-Marzahn aber dringt die Polizei mit ihrer Klarstellung nicht durch. In den sozialen Medien wird von Vertuschung gesprochen. Auch auf den Straßen nimmt das Thema Fahrt auf. Auf einer NPD-Demonstration spricht eine Frau, die als Cousine des betroffenen Mädchens vorgestellt wird, und klagt an:
"Als sie ihre Aussage nochmals bei der Polizei abgeben sollte, wurde sie drei Stunden lang alleine verhört. Ein minderjähriges Mädchen wurde drei Stunden alleine verhört. Sie wurde ausgelacht. Und ihr wurde gesagt, dass ihr nicht geglaubt wird, dass sie lügt und dass sie das selber wollte. Nach drei Stunden ist sie einfach zusammengebrochen und hat einfach behauptet, dass es so stimmt, wie die Polizei es gerne hätte."
Persönlichkeitsrechte hindern Polizei an Preisgabe von Details
Die Beamten stecken in einem Dilemma. Die Vorwürfe gegen sie sind deutlich. In der Tat wurde das Mädchen vermisst, doch mit Details aufklären und dagegenhalten können sie nicht. So sagt Polizeisprecher Thomas Neuendorf zu ZAPP: "Wir haben in diesem Fall, gerade in diesem speziellen Fall die Situation, dass wir uns an den Schutz dieses Mädchens halten. Wir achten die Persönlichkeitsrechte. Und daher sind wir in unseren Ausführungen auch eingeengt. Es ist leider so, dass da sich nicht jeder dran hält. Das Ganze wird ausgeschlachtet. Das müssen wir dann ertragen. Für uns ist der Schutz des Mädchens wichtiger."
Auch Journalisten, die recherchieren, geraten hier an ihre Grenzen. "Journalisten sollten sich in diesem Fall an den Fakten orientieren, also an dem, was man recherchieren kann. An den offiziellen Aussagen. Aber natürlich auch weiter kritisch hinterfragen, was ist da möglicherweise passiert. Und dann natürlich auch den Schutz des Mädchens im Hinterkopf haben, denn es geht hier um ein 13-jähriges Mädchen, um Persönlichkeitsrechte", so Jorin Verges.
Ein schwieriger Fall für Journalisten
Das Mädchen schützen, gleichzeitig aber den Vergewaltigungsvorwurf mit eigenen Recherchen nachgehen - in diesem Fall ein schwieriges journalistisches Unterfangen. In der russischen Parallelgesellschaft von Berlin-Marzahn speisen viele Menschen ihr Wissen aus dem russischen Fernsehen und glauben dem dort gezeigten Bericht. Bei einer Straßenumfrage haben wir folgende Antworten zu dem Fall bekommen:
Update, 29. Januar:
Keine Entführung. Laut Angaben der Staatsanwaltschaft hat das Mädchen bei einem Bekannten übernachtet. Als Grund für das Verschwinden werden schulische Probleme vermutet. Weitere Infos zum Fall gibt's bei der Tagesschau.