Minderheitenschutz: Pressekodex unverändert
Geht es nach dem Deutschen Presserat, dann ist die Sache klar: "Der Diskriminierungsschutz bleibt unverändert in Kraft - es gibt derzeit keinen Anlass, daran etwas zu verändern", sagt der Sprecher des Selbstkontroll-Gremiums Manfred Protze: "Diese Regelungen sind kein Maulkorb, sondern lediglich eine Anleitung für ethisch angemessenes Verhalten." Protze steht in Berlin vor einem Pulk aus Mikrofonen und Kameras. Die Sonne scheint und er wirkt zufrieden. Die Botschaft ist eindeutig: Problem gelöst - weitermachen!
Der Presserat hat sich - wenige Stunden, aber immerhin mit ein paar Experten - darüber Gedanken gemacht, was er nach der Kölner Silvesternacht tun soll. Immer mehr Journalisten - von "Bild" bis zu Regionalzeitungen - hatten den Presserat aufgefordert, seinen Pressekodex zu überarbeiten. Das Gremium sollte sich vor allem überlegen, ob es den Passus 12.1 ergänzen oder gar streichen sollte. Der ruft bei der Berichterstattung über Straftaten dazu auf, darüber nachzudenken, ob die Herkunft von Tatverdächtigen wirklich etwas zur Sache tut oder besser außen vor bleibt.
Richtlinie 12.1 – Berichterstattung über Straftaten
In der Berichterstattung über Straftaten wird die Zugehörigkeit der Verdächtigen oder Täter zu religiösen, ethnischen oder anderen Minderheiten nur dann erwähnt, wenn für das Verständnis des berichteten Vorgangs ein begründbarer Sachbezug besteht.
Besonders ist zu beachten, dass die Erwähnung Vorurteile gegenüber Minderheiten schüren könnte.
Selbstzensur-Vorwürfe und verzerrte Realität
Einige Journalisten halten dies für "Nachrichtenunterdrückung", weil die Polizei solche Details zum Teil selbst herausgibt. Das Problem aus Sicht des Pressekodex ist jedoch: Wenn von 100 Straftaten ca. 25 Prozent von Ausländern begangen werden, bleibt die "Herkunft“ der Täter 75 Mal ungenannt.
Denn Adjektive wie "hellhäutig", "deutsch", "katholisch geprägt" usw. werden bei deutschen Tätern so gut wie nie genannt, sondern es tauchen vor allem Zuschreibungen wie "arabisch", "dunkelhäutig“, "südländisch", "muslimisch“ usw. in der Kriminalitätsberichterstattung auf. Am Ende könnte so ein Bild entstehen, dass die Wirklichkeit radikal verzerrt: Während die überwältigende Mehrheit der Straftaten von Deutschen begangen wird, tauchen in den medialen Zuschreibungen nur die Täter auf, die eben keine Deutschen sind.
Presserat sieht Redaktionen in der Verantwortung
Der Presserat belässt die umstrittene Richtlinie nun wie sie ist. Redaktionen, sagt Presserat-Sprecher Protze, stünden also weiterhin in der Verantwortung. Sie könnten sich nicht darauf berufen, dass die Informationen eh in der Welt seien, nur weil Polizei oder sonst jemand etwa von Nordafrikanern, Afghanen oder Syrern spräche. Es gelte weiter: Prüfen, ob es eine Rolle spielt, in welchem Land oder Milieu ein Tatverdächtiger geboren wurde oder nicht. Und dann aufschreiben oder nicht.
Klingt erst mal logisch. Aber ist damit auch alles gut? Der Chefredakteur des Neubrandenburger "Nordkuriers", Lutz Schumacher, fordert noch immer eine Überarbeitung, vor allem eine Präzisierung. "Es gibt Unsicherheiten in den Redaktionen, wir brauchen Präzisierung", sagte er ZAPP nach der Sitzung des Presserates, dem er selbst angehört. Schumacher meint, dass es "sehr, sehr schwer" sei, einen wirklichen Sachbezug gerade zur Ethnie herzustellen, es gebe schließlich keine Ethnien, die per se straffälliger seien als andere. "Meines Erachtens dürfte man es, wenn man das ganz richtig handhabt, nie aufschreiben."
"Bild" sieht Leserbevormundung
Besonders enttäuscht von der Entscheidung des Pressekodex ist man bei "Bild“. Chefredakteurin Tanit Koch sagt der "Tagesschau" kurz nach der Entscheidung, sie hätte gerne gesehen, dass 12.1 gestrichen worden wäre. "Geht es nach dem Presserat, dann sollen Redaktionen in Deutschland ihre Leser letztlich bevormunden, indem sie ihnen relevante Informationen vorenthalten", so Koch. Dahinter stecke "so eine Art Generalverdacht", dass die Bevölkerung mit gewissen Fakten nicht umgehen könne: "Wir halten das für falsch, weil die Menschen merken, wenn ihnen etwas verschwiegen wird, und sie dann mit Misstrauen reagieren. Und dieses Misstrauen ist brandgefährlich."
Der Presserat will Journalisten wiederum künftig besser dabei helfen, den Kodex auszulegen, denn der ist mit der Entscheidung auch künftig - bewusst - äußerst vage gehalten. Nicht wenige Journalisten fragen sich inzwischen: Schürt nicht gerade das Zurückhalten dieser Erwähnungen Vorurteile - etwa gegen die Medien, Stichwort "Schweigekartell"? Presserat-Sprecher Protze sagt im ZAPP-Interview, Medien müssten häufiger Rechenschaft ablegen und erklären, warum sie einzelne Details nicht berichten.
Einfach immer die Herkunft nennen?
Auch Medienpsychologe Frank Schwab von der Würzburger Universität, der vor dem Presserat seinen Standpunkt deutlich machte, ist der Auffassung, dass es am Ende völlig gleich sei, ob Journalisten nun die Herkunft nennen oder nicht: "Experimente zeigen, dass sie einen total ausgewogenen Text schreiben können, aber die starken Befürworter oder starken Gegner der Extrempositionen werden diesen Text immer verzerrt lesen und sich beschweren."
Einige Medienmacher würden gerne den Druck aus dem Kessel nehmen. Ihre Sofortmaßnahme: Lasst uns doch einfach alle Herkunftsländer benennen und zwar immer - egal ob nun ein Tatverdächtiger aus Kabul stamme oder aus der München. Die "Sächsische Zeitung" beispielsweise plädierte bereits hinter den Kulissen für dieses Modell. Und auch 12.1-Kritiker Schumacher zu ZAPP: "Das ist ein interessanter Ansatz, denn dabei würde herauskommen, dass die allermeisten Straftäter in Deutschland Deutsche sind."