G20: Polizei will Aufnahmen von Journalisten
Im Zuge der Ermittlungen nach den Ausschreitungen am Rande des G20-Gipfels Anfang Juli hat die Hamburger Polizei zahlreiche Medienhäuser darum gebeten, ihr bisher nicht veröffentlichtes Bildmaterial zur Verfügung zu stellen. Ziel sei es, mögliche Beweismittel zu sichten und Straftäter zu identifizieren.
Nach ZAPP Informationen hat die Sonderkommission "Schwarzer Block" in den letzten Wochen entsprechende Anfragen verschickt. Mehrere Medien sind dieser Bitte offenbar nachgekommen: Eine Kleine Anfrage der Linksfraktion in der Hamburgischen Bürgerschaft hat ergeben, dass der Polizei mittlerweile ungesendetes Bildmaterial vorliege, das "die Größe einer mittleren dreistelligen Zahl von Gigabyte" umfasst. Setzt man die Datenrate für normales Fernsehmaterial voraus, dann entspricht dies einem Umfang von mindestens 15 Stunden - es könnte aber auch weitaus mehr sein.
"Nicht gerechtfertigt"
Die ehemalige Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) kritisiert die Hamburger Polizei für das Vorgehen. "Ungesendetes Material zu verlangen ist in meinen Augen nicht gerechtfertigt. Es gilt zuallererst das Redaktionsgeheimnis, es gilt zuallererst, die Presse- und Meinungsfreiheit zu schützen. Das ist gesetzlich verankert", so die ehemalige Ministerin. "Man kann nicht von den Medien verlangen, eine Art Hilfspolizist zu werden."
Die Polizei könne öffentlich zugängliches Material auswerten, das sei natürlich Gegenstand der Ermittlungen. Pauschal aber das gesamte Rohmaterial anzufordern sei problematisch. "Auf diesem Material sind auch Personen sehen, die nichts mit dem Ereignis zu tun haben, von denen keine Gewalttaten ausgegangen sind und die auch ein Recht haben, nicht in Verbindung mit Gewalttaten gebracht zu werden."
Polizei schließt Beschlagnahme nicht aus
Der Hamburger Polizeipräsident Ralf Martin Meyer weist im Gespräch mit dem NDR darauf hin, dass die Herausgabe auf Freiwilligkeit beruhe. "Wenn Material aufgrund der Pressegesetze nicht zur Verfügung steht, dann ist das so." Dennoch: Im Einzelfall schließt er eine Beschlagnahmung nicht aus, wenn man auf bestimmtes Material angewiesen sei.
Dann müsse man prüfen, ob es einen Grund gibt, tatsächlich dieses Material auch zu bekommen. "Wenn etwas rechtlich möglich ist, dann ist theoretisch eine Beschlagnahme möglich. Dann ist es auch rechtlich zulässig und sinnvoll, dass die Polizei diese Möglichkeiten nutzt. Sie hat eine Aufklärungspflicht. Andernfalls würde sie sich sogar wegen Strafvereitelung strafbar machen."
Medienhäuser geben Material teilweise raus
Anfragen gingen nach ZAPP-Informationen unter anderem an den NDR, das ZDF, N24, RTL, Sat.1 und n-tv, darüber hinaus an mehrere Produktionsfirmen. Die teilten mit, dass sie den Ermittlern nur Beiträge in hochauflösender Qualität weitergeben haben, die ohnehin gesendet worden seien. Eine Produktionsfirma gab an, dass sie im Rahmen eines Ermittlungsverfahrens Rohmaterial an das LKA gegeben habe; diese Bilder werden jetzt auch bei der Soko "Schwarzer Block" ausgewertet.
RTL: "Pflicht, Behörden zu unterstützen"
Die Mediengruppe RTL, zu der auch der Nachrichtenkanal n-tv gehört, teilte schriftlich mit, dass man die kompletten Sendestrecken von n-tv vom G20-Gipfel zur Verfügung gestellt habe. Wegen eines hausinternen Missverständnisses seien bei der Bearbeitung auch zehn Minuten nicht gesendetes Material ausgesucht und bereitgestellt worden.
Grundsätzlich heißt es von der RTL Mediengruppe: "Wenn vermeintliche Straftaten vorliegen, erachten wir es als unsere Pflicht, die Behörden zu unterstützen. Davon ausgenommen ist Bildmaterial, mit dem der Schutz von Informanten gefährdet wäre." Aktuell habe man sich bei einer investigativen Altenheimreportage für das RTL-Magazin "Extra" zur Herausgabe von Rohmaterial entschlossen. Nur so habe man dazu beitragen können, dass akute Missstände behoben werden.
NDR übermittelt kein Drehmaterial
Die Herausgabe von ungesendetem Bildmaterial an Ermittlungsbehörden ist umstritten. Der NDR übermittelt grundsätzlich kein Drehmaterial. Der öffentlich-rechtliche Rundfunk sei keine Strafverfolgungsbehörde, sondern von der Konstruktion her gerade unabhängig von den staatlichen Behörden, betont Klaus Siekmann aus dem Justitiariat des Senders. "Eines der höchsten Güter journalistischer Arbeit ist der Informantenschutz. Wenn uns jemand etwas schildert und damit rechnen muss, dass er offenbart wird gegenüber Strafverfolgungsbehörden, denen er sich ja gerade bewusst nicht offenbart hat, dann ist das der Tod jeder zukünftigen journalistischen Arbeit", sagt Siekmann.
Ralf Zimmermann von Siefart, Leiter des ZDF-Landesstudios Hamburg und Reporter beim G20-Gipfel, warnt davor, Präzedenzfälle zu schaffen: "Das hätte die Konsequenz, dass Journalisten Fernsehteams, Fotografen immer dem Verdacht ausgesetzt wären, dass das aufgenommene Material gar nicht zur Berichterstattung, sondern zur Ermittlung verwendet werden könnte."
Dieser Verdacht dürfe langfristig nicht entstehen, da er fatale Folgen für die journalistische Arbeit hätte, beispielsweise auch hinsichtlich der Sicherheit der Kollegen bei Demonstrationen. Die Unabhängigkeit von Berichterstattung sei ein ganz hohes Gut, das bewahrt werden müsse.
"Ein bisschen Redaktionsgeheimnis"
Davor warnt auch Heribert Prantl, Mitglied der Chefredaktion der "Süddeutschen Zeitung". Er lehnt jegliche Kooperation mit der Polizei ab, da Journalisten "nicht die Hilfsbeamten der Staatsanwaltschaft" seien. "Ein bisschen Redaktionsgeheimnis" gebe es ebenso wenig wie "ein bisschen Beichtgeheimnis".
Bei den großen Anti-AKW-Demonstrationen von Brokdorf und Wackersdorf in den 70er- und 80er-Jahren hätten Staatsanwaltschaft und Polizei die Filme von ARD- und ZDF-Journalisten beschlagnahmt. "Daraufhin wurden die Kameraleute und die Journalisten bei den nächsten Demos mit Steinen beworfen von den Demonstranten", erzählt Prantl. "Warum? Weil die sagen: Ihr arbeitet Hand in Hand. Ihr seid nicht mehr vertrauenswürdig, ihr seid nicht mehr neutral."
Journalisten geraten unter Generalverdacht
Gerade deshalb plädiert Sabine Leutheusser-Schnarrenberger dafür, dass die Polizei den Rechtsweg beschreiten soll, wenn sie Material von Journalisten haben möchte. "Wenn sie sich bei Richtern die Genehmigung dafür besorgt, dann ist es eine klare Rechtsgrundlage. Dafür sind die Gerichte da, um zwischen diesen unterschiedlichen Interessen an Strafverfolgung und Aufklärung und an Schutz der Redaktion und der journalistischen Arbeit abzuwägen. Und dann ist für alle eine Rechtssicherheit da und man bewegt sich nicht weiter in einer Grauzone."
Im Übrigen hat die Hamburger Polizei Ende Oktober auch das Bundespresseamt (BPA) kontaktiert und gebeten, ein Anschreiben an alle Pressevertreter, die beim Gipfel in Hamburg akkreditiert waren, weiterzuleiten. Darin ging es um die Frage nach Bild- und Videomaterial. Auf NDR-Nachfrage teilte das Bundespresseamt kurz und bündig mit: "Der Bitte der Hamburger Polizei konnte das BPA aus rechtlichen Gründen nicht entsprechen."