Stand: 04.05.2014 15:15 Uhr

Diskriminierung von Homosexuellen: "Erschreckend"

Mit einem innigen Kuss besiegeln Reinhard und Felix am 6.5.1999 ihre "Ehe", nachdem sie sich vor dem Standesamt in Hamburg-Eimsbüttel ihr Ja-Wort gegeben hatten. © dpa / picture-alliance
Mit einem Kuss besiegeln Reinhard und Felix am 6.5.1999 ihre "Ehe". Sie haben sich im Standesamt in Hamburg-Eimsbüttel ihr Ja-Wort gegeben.

Im Mai 1999 schlossen die ersten lesbischen und schwulen Paare die "Hamburger Ehe". Und heute, 15 Jahre später? Werden Schwule und Lesben mittlerweile gleich behandelt? NDR.de hat darüber mit der Kieler Psychologin Anne Bachmann gesprochen. Sie sagt, das Ausmaß der Diskriminierung sei immer noch erschreckend.

Bachmann arbeitet als Psychologin an der Universität Kiel und hat ein umfassendes Forschungsprojekt zu Diskriminierungserfahrungenvon schwulen und bisexuellen Männern geleitet. In einer gerade publizierten Studie berichtet sie über die Auswirkungen auf die Lebensqualität der Betroffenen. Danach hat die Diskriminierung gesundheitsgefährdende Folgen für die Betroffenen.

NDR.de: In den vergangenen Jahren haben Homosexuelle viele Rechte zugesprochen bekommen. Ist das Thema Diskriminierung überhaupt noch aktuell?

Anne Bachmann: Die strukturelle Diskriminierung - durch den Staat - ist tatsächlich weitläufig abgebaut worden, obwohl es auch da noch einzelne Bereiche gibt, in denen Homosexuelle diskriminiert werden, beispielsweise bei der Adoption.

Anne Bachmann.
"Was in unserer Studie zutage kam, hat mich erschreckt", sagt die Kieler Psychologin Anne Bachmann.

Schlimmer ist es allerdings bei der sozialen Diskriminierung. Mehr als zwei Drittel der Befragten haben von Diskriminierungen berichtet - dass sie beleidigt, beschimpft oder belästigt worden sind. Oder dass sie beispielsweise wegen ihrer sexuellen Orientierung von Aktivitäten ausgeschlossen werden. Am häufigsten passiert das im Bekanntenkreis oder am Arbeitsplatz. Etwa ein Drittel der Befragten hat aber auch physische Gewalt erlebt - also dass sie geohrfeigt, gewürgt, getreten oder sexuell missbraucht wurden.

Mir ist das überhaupt nicht so bewusst gewesen, bevor wir diese Studie durchgeführt haben. Was dort zutage kam, was die Leute geschildert haben, das hat mich erschreckt. Das war auch insofern schockierend, weil wir in der psychologischen Forschung in den letzten Jahren immer wieder beschrieben haben, welch schlimme Folgen Diskriminierung für die Betroffen hat.

Welche Folgen hat denn die Diskriminierung?

Bachmann: Zunächst einmal sinkt die Lebensqualität, die Lebenszufriedenheit. Und das kann Folgen haben für die psychische Gesundheit: Diskriminierungserlebnisse erhöhen die Wahrscheinlichkeit für psychische Erkrankungen signifikant. Sie können zu Depressionen führen oder zu sozialem Rückzug. Bei den Betroffenen sinkt das Gefühl, von der Gesellschaft anerkannt und respektiert zu werden. Sie fühlen sich oft als Menschen zweiter Klasse. Oft dienen dann die schwulen oder lesbischen Gemeinschaften - Verbände oder die lokale Szene - als Schutzraum. Je mehr Diskriminierung erlebt wird, desto mehr Zulauf haben sie.

Gleichzeitig wachsen durch Diskriminierungserfahrungen Angst und Unsicherheit. Viele sagen, dass sie eigentlich ganz froh sind, dass sich die Situation für Homosexuelle verbessert hat. Aber Diskriminierungen lösen Befürchtungen aus, dass sich das schnell wieder ändern kann, dass sich das gesellschaftliche Umfeld für Schwule und Lesben wieder verschlechtert. Und diese Unsicherheit ist auch für die Psyche schädlich.

Gibt es Menschen, die besonders stark von Diskriminierung betroffen sind?

Bachmann: In unserer Studie hat sich herauskristallisiert, dass diejenigen, die ein geringes Nettoeinkommen haben oder arbeitslos sind, besonders häufig von Diskriminierung betroffen sind. Woran das genau liegt, wissen wir nicht. Eine mögliche Erklärung könnte sein, dass ein hohes Einkommen möglicherweise vor Diskriminierung schützt. Außerdem scheint in großen Städten Homosexualität stärker akzeptiert zu sein. In unserer Umfrage haben wir ein klares Stadt-Land-Gefälle gesehen: Desto größer der Ort, desto mehr fühlen sie Lesben und Schwule akzeptiert. Viele wandern auch deshalb aus kleinen Orten aus.

Wir haben aber auch festgestellt, dass Menschen Diskriminierungen häufiger und schlimmer erleben, wenn sie kein positives Verhältnis zu sich selbst haben, keinen gesunden Bezug zu ihrer sexuellen Orientierung. Wer kein positives Selbstbild entwickelt hat, hat oft von der Familie oder dem gesellschaftlichen Umfeld beigebracht bekommen, dass sie oder er "nicht normal" oder sogar "krank" sei.

Woran liegt es, dass die Diskriminierung von Homosexuellen noch so verbreitet ist?

Bachmann: Oft liegen Diskriminierungen Prozesse der Identitätsfindung zugrunde. Es ist ein zutiefst menschlicher Prozess, sich in Gruppen zu kategorisieren und die eigene Gruppierung von anderen abzuheben. Die anderen werden dann häufig als Bedrohung wahrgenommen. Deswegen ist es auch so schwer Vorurteile zu ändern - insbesondere dann, wenn die andere Gruppe - wie bei Homosexuellen - eine Minderheit ist. Wenn man die anderen nicht mehr als fremd ansieht, schwinden die Vorurteile und die Diskriminierungen. Und das funktioniert am besten über Aufklärung oder dadurch, dass man selbst erlebt, dass sie gar nicht so fremd sind.

Das heißt, dass Schwule und Lesben möglichst einen offenen Umgang mit ihrer Sexualität zeigen sollten - kein Verstecken, kein Rückzug. Die Akzeptanz steigt dadurch. Wenn man in der Nachbarschaft Leute hat, die offen homosexuell leben, oder wenn Lesben und Schwule Hand in Hand gehen, sich öffentlich küssen, wird das normaler. Und dann verschwinden auch Vorurteile und Diskriminierungen. Dahin müssen wir kommen.

Das Interview führte Christian Baars, NDR.de.

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Dieses Thema im Programm:

Panorama - die Reporter | 06.05.2014 | 21:15 Uhr

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