Panorama - die Reporter
Dienstag, 05. Dezember 2017, 21:15 bis
21:45 Uhr
Donnerstag, 07. Dezember 2017, 02:15 bis
02:45 Uhr
von Esra Özer
Vergangenen Sommer habe ich mir Schrebergärten angeguckt. Einfach, weil ich es liebe im Grünen zu sein. Denn ich habe nur eine kleine Altbauwohnung mit Balkonpflanzen. Warum also nicht einen Schrebergarten? "Das ist aber ganz schön Deutsch", waren die Reaktionen meiner Freunde und auch der Kollegen im NDR. Sie fanden es schön spießig. Ich solle mir das nochmal überlegen, denn die Deutschen seien da schon sehr genau, wenn die Hecke mal nicht die richtige Höhe hat. Jedenfalls sind alle immer leicht irritiert, wenn ich, Esra, in Istanbul geboren, von einer Parzelle im Herzen der deutschen Gartenkultur träume. Warum eigentlich?
Was ist los mit den Türken?
Schon immer werde ich auf die Türkei angesprochen, aber seit einiger Zeit nimmt es deutlich zu. "Was ist da bloß los in der Türkei?", "Was ist los mit den Türken hier in Deutschland?", "Warum finden viele Erdogan so toll?". Jeden Tag neue Schlagzeilen. Klar, fragen mich meine deutschen Freunde als erste. Und ich finde es gut, dass sie sich für die Türkei interessieren. Ich suche selbst nach Antworten auf die Fragen, die man mir stellt. Ich wollte verstehen, wie andere Deutschtürken Deutschland sehen, wie sie sich hier fühlen, was sie über die Türkeipolitik denken und vor allem: warum sie Erdogan gut finden. Für ein paar Wochen waren wir deshalb in Hamburg Billstedt. In diesem Stadtteil leben die meisten Deutschtürken. Ich wollte hören, wie sie ticken.
Erdogan in Norddeutschland
Tek Markt ist der größte türkischen Supermarkt am Platz. Ich spreche den Fleischer auf Erdogan an. Sofort beginnt er ihn zu verteidigen. Er erzählt mir, dass er Freunde in der Türkei habe, denen es viel besser gehe als ihm hier in Deutschland. "In den letzten 15 Jahren konnten viele dank Erdogan - den ja viele nicht mögen - eine Existenz aufbauen." Denn man dürfe nicht vergessen, wie die Türkei vor Erdogans Zeit war. Das wüssten viele nicht. Dass die Türkei Erdogan viel zu verdanken habe, höre ich noch sehr oft.
Ich bereise die Türkei so oft ich kann. Nicht nur, weil ich das Land so liebe. Ein Teil von mir gehört genau dort hin. Ich habe jedes Mal Gänsehaut, wenn ich aus dem Flieger steige. Ich bin einfach glücklich, wenn ich da bin. Und ja, die Türkei hat sich verändert: Das Gesundheitssystem ist zuverlässiger geworden, früher wurde nur behandelt, wer auch Geld hatte, heute kommt jeder in Genuss einer schnellen ärztlichen Behandlung. Es gibt mehr Sozialleistungen, die Infrastruktur hat sich verbessert. Aber es gibt auch viele Ereignisse, die sehr traurig machen: Wie der Putschversuch Sommer 2016 zum Beispiel. Oder die vielen - noch ungeklärten - Verhaftungen, darunter auch deutsche Journalisten.
Verhältnis schlechter geworden
Spätestens seit dem Referendum über das Präsidialsystem in der Türkei denken sich viele Deutsche, die Türkeistämmigen hierzulande seien zum großen Teil glühende Verfechter von Erdogans Politik. Und sie verstehen nicht warum: Wie kann man nur für einen Diktator stimmen, wenn man in einem freien, demokratischen Land wie Deutschland lebt? Aber es gibt keine belastbaren Zahlen zur Stimmung unter Deutschtürken. Deshalb haben wir eine Umfrage in Auftrag gegeben. Das Meinungsforschungsinstitut Data 4U hat für 2.800 Deutschtürken gefragt. Das Ergebnis: eine Mehrheit sagt, das Verhältnis zu den Deutschen habe sich verschlechtert. Nur etwa 29 Prozent unterstützen Erdogans harten politischen Kurs seit dem Putsch. Aber weitaus mehr Deutschtürken (44 Prozent) halten die deutsche Kritik an Erdogan für ungerecht. Es scheint, als würde man die Kritik an Erdogan als Kritik an der Türkei sehen, persönlich nehmen.
Für oder gegen Erdogan - nichts dazwischen
Im Möbelgeschäft "Rose und Gül" lerne ich Fatih Gönüllü kennen. Er lebt seit über 40 Jahren in Deutschland. Mittlerweile schon mit Enkelkindern. Seine Familie sei in Hamburg zu Hause, sagt er mir. Das Geschäft mit den orientalischen Möbeln laufe gut und er plant sogar eine zweite Filiale zu eröffnen. Doch habe er das Gefühl, nicht immer dazu zu gehören. Die Türken würden oft als "Menschen zweiter Klasse" behandelt werden. Das sei in der Türkei eben nicht so. Fatih Gönüllü ärgert sich auch darüber, dass man nur für oder gegen Erdogan sein darf. "Er tut für sein Land was, er tut auch was für Leute, die im Ausland leben." Ich habe das Gefühl, Gönüllü möchte eher die Türkei beschützen, weniger Erdogan verteidigen. "Ich muss Erdogan nicht mögen, aber mein Land immer nur schlecht zu machen und zu sagen: macht da kein Urlaub. Das geht nicht!" Aber genau das würde eben derzeit stattfinden, erzählt er mir. Weil die Deutsche Politik mit Reisewarnungen oder anderen Sanktionen nicht Erdogan, sondern dem Land schade.
Stolz auf die türkische Heimat
Mir scheint, viele unterstützen Erdogan nicht, weil sie einfach alles gut finden, was er macht. Aber er gibt vielen ein Gefühl von Zugehörigkeit, das ihnen hier fehlt. Stolz auf die andere Heimat, die heute wirtschaftliche stärker und selbstbewusster scheint. Erdogan ist vielleicht nur ein Symptom für ein Gefühl, das schon immer da war: Irgendwie doch fremd zu sein. Weil immer noch nicht anerkannt wird, was offensichtlich ist: Wir Deutschtürken sind halt einfach da und wir gehen nicht mehr weg. Trotz langer Wartelisten war ich in zwei Wochen und vier Kleingartenbesichtigungen später stolze Pächterin von 300 Quadratmeter Grün, plus Holzhütte. Die Vorgänger hatten ihren Garten über 40 Jahre und sie haben mich bei der Übergabe nicht gefragt, woher ich ursprünglich komme. Eigentlich habe ich das erwartet. Denn oft werde ich nach meiner Nationalität gefragt, weil man es mir eben ansieht: Schwarze Haare, braune Augen, eben untypisch und nicht Deutsch. Und ich fand es gut, dass sie nicht gefragt haben.
Leben in zwei Kulturen
Ja, man kann ohne Probleme in zwei Kulturen leben. Es wäre gut, wenn man sich dafür nicht rechtfertigen müsste. Und es wäre keinem geholfen, wenn die Türken in Deutschland innerlich abwandern. Aber wer sich ungeliebt fühlt, wird sich jemand suchen, der ihm Liebe verspricht.
- Redaktion
- Schiffermueller, Dietmar