Die Sneakerjagd: Mit GPS-Sendern einem großen Müllproblem auf der Spur
Elf Prominente, 22 Sneaker und eine Frage: Was passiert mit unseren alten Schuhen? Eine globale GPS-Recherche zu einem der größten Müllprobleme unserer Zeit.
Als Jan Delay mit dem Rad ums Eck biegt, hält er in der Hand ein Paar blaue Nike-Sneaker. Besonders glücklich sieht der Rapper nicht aus. Denn an den Schuhen hängen Erinnerungen. Er sagt:"Die hab ich getragen, als die letzte Beginner-Platte auf eins gegangen ist und wir die ganze Zeit unterwegs waren."
Dass Jan Delay uns seine Sneaker trotzdem überlässt, hat mit unserer Recherche zu tun. Wir, ein Reporterteam von NDR, "Zeit" und dem Recherche-Startup Flip, wollen herausfinden: Was passiert mit unseren alten Schuhen, nachdem wir sie entsorgt haben? Kann man den Nachhaltigkeits-Versprechen von Herstellern und Händlern trauen? Welche Folgen hat unser Schuhkonsum für die Umwelt, unsere Gesundheit und den Rest der Welt? Dafür verstecken wir GPS-Sender in den Sohlen der Sneaker von Jan Delay und in denen zehn weiterer Prominenter, speisen sie in verschiedene Entsorgungskanäle ein und verfolgen sie mehr als fünf Monate lang und viele Tausende Kilometer durch die Welt. Es ist eine Jagd, von der wir selbst nicht wissen, wohin sie uns führen wird. Einige der Sneaker sind noch immer unterwegs und schicken uns neue Signale.
Immer mehr Schuhe produziert
Die GPS-Sneaker entsorgen wir auf unterschiedliche Weise. Wir werfen sie in Altkleidercontainer, etwa vom Deutschen Roten Kreuz. Und wir geben sie großen Händlern und Herstellern zurück. In einem Nike-Store schmeißen wir sie in eine braune Box, auf der steht: "Recycle Deine alten Schuhe". Auf einer ähnlichen Box beim Textilriesen Zara heißt es: "Schenken Sie der Kleidung, die Sie nicht mehr tragen, ein neues Leben." Es sind Aufforderungen, die den Kundinnen und Kunden suggerieren: Du kannst mit Deinen alten Schuhen noch etwas Gutes tun. Aber ist das wirklich wahr?
Es ist eine große Frage, über die man bislang nur wenig weiß. Jedes Jahr werden rund 1,4 Milliarden Paar Sneaker verkauft, doppelt so viele wie noch 2012. Rund 70 Milliarden Dollar Umsatz machen die Konzerne damit. Es werden immer mehr Schuhe produziert - und irgendwann entsorgt, weil sie durchgelatscht sind, doch nicht so schick aussehen oder das Regal eh schon überquillt. Allein in Deutschland werden über 380 Millionen Paar Schuhe pro Jahr weggeschmissen, fast fünf Paar pro Person.
Sneaker stehen wie kaum ein anderes Kleidungsstück für die Fast-Fashion-Gesellschaft, in der immer mehr, immer schneller und immer billiger produziert wird. Ständig kommen neue Modelle auf den Markt und verdrängen die alten. Das Ergebnis ist ein riesiger Müllberg. "Die Schuhe bestehen aus über 40 Komponenten, die mit billigem Klebstoff zusammengehalten werden", sagt Michael Braungart, wissenschaftlicher Leiter des Hamburger Umweltinstituts. Die Sohlen verursachen Mikroplastik, das Mensch und Umwelt gleichermaßen schade. Er spricht von einem "ökologischen Desaster".
Was passiert wirklich mit den alten Sneakern?
In der Hamburger Innenstadt, wo wir die meisten der verwanzten Schuhe einspeisen, hat man einen ganz anderen Eindruck. Überall werben die großen Marken mit grünen Slogans. Nike will den eigenen Abfall auf null reduzieren und nennt das "Move to Zero", Adidas verkauft Schuhe aus "Ocean Plastic", bei H&M kann man "Conscious-Punkte" sammeln, wenn man aussortierte Kleidung abgibt. Die Botschaft: Wir haben das Problem erkannt und kümmern uns.
Hat also wirklich ein Prozess des Umdenkens begonnen? Wer wissen möchte, was mit den eigenen Schuhen passiert, nachdem man sie entsorgt hat, bekommt nur vage oder ausweichende Antworten. Deshalb die GPS-Sender. Und deshalb die vielen Prominenten, die uns ihre alten Sneaker zur Verfügung stellen und mit ihrer Bekanntheit für das Thema sensibilisieren wollen. "Ich habe mich schon immer gefragt: Wo landen die denn dann eigentlich? Was passiert damit?", sagt etwa die Moderatorin Janin Ullmann. "Werden sie verbrannt, werden sie auseinandergebaut, wird etwas Neues aus ihnen gemacht? Oder wird sie tatsächlich noch jemand tragen irgendwo auf der Welt?", fragt sich die Komikerin Carolin Kebekus.
Hersteller und Modeketten in Erklärungsnot
Auf die Reise geschickt haben wir auch die alten Sneaker des SPD-Politikers Kevin Kühnert, der Musiker Joy Denalane, Jakob Sinn (Revolverheld) und Marie Curry (Neonschwarz), der Moderatoren Linda Zervakis und Michel Abdollahi sowie den Influencern Luisa Dellert und Fynn Kliemann. Die Sohlen der Schuhe haben wir dazu ausgefräst, um Platz zu schaffen für moderne GPS-Tracker, inklusive Akku und Bewegungssensoren. Diese Technik ist komplex. "Ein daumennagelgroßer Chip, den James Bond einmal um den Globus verfolgt, ist technologisch völliger Schwachsinn", sagt Oliver Strecke von der auf GPS-Tracking spezialisierten Firma Viamon, mit der wir für die Recherche zusammengearbeitet haben.
Das größte Problem ist der Akku. In den Sohlen der Schuhe ist nur wenig Platz. Gleichzeitig müssen die Akkus mehrere Monate halten. Jedes Signal kostet Energie. Das ist beim GPS-Sneaker nicht anders als beim Mobiltelefon. Man kann die Sender deshalb so einstellen, dass sie sich nur einmal am Tag oder einmal die Woche melden. Oder nur dann, wenn sie bewegt werden. Immer müssen wir abwägen: Akku schonen oder exakter tracken?
Aber nicht immer läuft alles nach Plan. Es ist eine Jagd voller Hindernisse, Rätsel und Überraschungen. Jan Delays linker Schuh wird plötzlich verrückt spielen und ein GPS-Signal nach dem anderen raushauen - bis der Akku fast alle ist. Linda Zervakis' Sneaker werden den Suez-Kanal durchqueren. Und Kevin Kühnerts Schuhe werden sich in zwei unterschiedliche Funkzellen einwählen, etwas nördlich der Kleinstadt Polch in Rheinland-Pfalz. Es wird ihr letztes Lebenszeichen sein.
Die Sneakerjagd wird uns nach Afrika und Osteuropa führen. Sie wird Hersteller und Modeketten in Erklärungsnot bringen. Um Gesetzesverstöße zu dokumentieren, werden wir weitere GPS-Sneaker einschleusen.