Panorama - die Reporter

Herr Abass und das geklaute Land

Dienstag, 07. Juni 2016, 21:15 bis 21:45 Uhr
Donnerstag, 09. Juni 2016, 02:00 bis 02:30 Uhr

Von Pia Lenz & Kristopher Sell

Abass Kamara ist aufgeregt. Er hat einen langen Weg hinter sich, von einer Zuckerrohrplantage in Sierra Leone bis auf die Zuschauertribüne des Deutschen Bundestags. Es ist der vorläufige Höhepunkt eines langen Kampfes gegen einen kaum besiegbaren Gegner, der nun vorläufig auf der großen Bühne der deutschen Politik endet.

Deutsche Entwicklungsgesellschaft gab ein Darlehen

Kamara ist gekommen, weil er die Bundesregierung persönlich fragen möchte: Warum fließt mit ihrem Zuspruch deutsches Geld in ein Projekt, das Menschen in seiner Heimat in Abhängigkeit und Hunger zu bringen scheint? Kamara ist Menschenrechtsaktivist, setzt sich seit Jahren mit seiner Organisation SILNORF für Nahrungsmittelsicherheit in Sierra Leone ein.

 

Die DEG

Die "Deutsche Gesellschaft für wirtschaftliche Zusammenarbeit" wurde 1962 gegründet. Als Bundesunternehmen sollte die DEG die sogenannte Dritte Welt beim Aufbau von Privatwirtschaft unterstützen und den deutschen Mittelstand auf seinem Weg in die internationalen Märkte begleiten. 2001 verkaufte der Bund die DEG an die Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW) und ist seitdem deren Tochter. Die DEG ist von der Steuerpflicht befreit und ist als gemeinnützig anerkannt und hat einen Entwicklungsauftrag. Die Bank sitzt in Köln.

Das Projekt, um das es ihm geht, nennt er das "Addax-Projekt". Ein Investment des Energiekonzerns Addax Bioenergy. Es sollte ein Vorbild für nachhaltige Agrarinvestitionen und Klimaschutz werden: Aus Zuckerrohr sollte Ethanol gewonnen werden, aus verbrannten Pflanzenresten Elektrizität. Addax versprach der Landbevölkerung Straßen, Schulen, Krankenhäuser und Tausende neue Jobs - so hatten sich das zumindest der Schweizer Investor und die europäischen Entwicklungsbanken vorgestellt, als sie das Projekt im Jahr 2011 finanzierten. Auch die Deutsche Investitions- und Entwicklungsgesellschaft (DEG), die im Auftrag der Bundesregierung in Unternehmen in Entwicklungsländern investiert, engagierte sich. Sie gab ein Darlehen, die genaue Summe will sie nicht nennen.

Bauern erhalten jährlich zwölf Dollar pro Hektar

Ein paar Wochen vorher, in Sierra Leone. 180 Kilometer von der Hauptstadt Freetown entfernt. Abass Kamara fährt mit Panorama Reportern zum Anbaugebiet von Addax. Riesige Zuckerrohrplantagen. Die Ackerflächen pachtete Addax dafür von der Bevölkerung für 50 Jahre, die Bauern bekamen jährlich zwölf Dollar pro Hektar, sechs Dollar pro Baum. Viel zu wenig für ihre Lebensgrundlage, findet Kamara: "Wie kann man ein Projekt finanzieren, das den Menschen ihr Land nimmt, auf dem sie ihre Lebensmittel angebaut haben, um es für die Treibstoffproduktion zu benutzen?"

Anschließend fährt Kamara in einige Dörfer im Projektgebiet. Hier leben die Menschen von Reis und Früchten, die sie selbst anpflanzen.  Es gibt keinen Strom, kein Internet. "Wir haben kaum verstanden was in den Verträgen von Addax stand, die waren auf Englisch", erzählt Dorfsprecher Joseph Sankoh.

Marie Kanu
Sie wusste gar nicht, was sie unterschrieb. Nun darf Marie Kanu ihr Land nicht mehr betreten.

Als die Investoren kamen, überschrieb auch die Familie von Marie Kanu ihren Acker an Addax. Der erste Vertrag in ihrem Leben. Verstanden hat sie ihn, wie so viele hier, erst viel später. Auf ihrem Land wächst jetzt Zuckerrohr, sie darf ihn streng genommen nicht einmal mehr betreten. Marie Kanu, die jahrelang von dem lebte, was sie mit eigenen Händen anbaute, ist jetzt abhängig vom Erfolg eines Schweizer Investors, der mit deutschem Geld unterstützt wird.

Die DEG steckt im Auftrag der Bundesregierung weltweit Millionensummen in Projekte in Entwicklungsländern. Immer wieder auch in solche Großprojekte. "Wenn ein Vertreter der DEG in den letzten vier Jahren hier nach Sierra Leone gekommen wäre, hätte er mit eigenen Augen sehen können, dass das Projekt gescheitert ist", sagt Abass Kamara.

Gutachten finden kein Fehlverhalten

Kamara sucht den Dialog mit den europäischen Entwicklungsbanken und Addax Bioenergy. Der Schweizer Energiekonzern betont, man habe alle Vorwürfe von unabhängigen Gutachtern prüfen lassen. Das Ergebnis: Es habe keine Anzeichen für Fehlverhalten bewiesen werden können. Vielmehr ginge es den Menschen in den Projektgebieten heute besser als zuvor. Den Dorfbewohnern habe man im Rahmen eines Programms fruchtbare Ersatzflächen zur Verfügung gestellt. Viele Dorfbewohner erzählen aber, dass sie von diesen Feldern nicht leben könnten, weil der Anbau darauf nicht funktioniere.

Die Ethanolfabrik lief nur kurze Zeit, denn die Erträge waren schlecht. Heute liegt hier alles brach. Der offizielle Grund: Ebola. Die Epidemie hatte das Land schwer getroffen. Dabei erzählen die Menschen vor Ort, dass die Produktion bei Addax ungestört weiterlaufen konnte.

Anfrage im Deutschen Bundestag

Niema Movassat von der Linkspartei
Niema Movassat von der Linkspartei fragt die Bundesregierung, welche Verantwortung sie hat.

Zurück in den Deutschen Bundestag. Niema Movassat tritt ans Mikrofon. Der Abgeordnete der Linken fragt die Bundesregierung zur Verantwortung der DEG. Sein Blick wandert zu Abass Kamara, der hoch oben auf der Besuchertribüne sitzt. Eine richtige Antwort auf diese Fragen wird Kamara heute nicht bekommen. Das Projekt, sagt der Staatsekretär des Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ), Thomas Silberhorn, auf dem Podium, befinde sich derzeit in einem "Review Prozess", solange könne man nichts Näheres sagen.

BMZ prüft, ob Hilfe für Sierra Leone möglich ist

Als die Reise von Abass Kamara zu Ende geht, wird er nicht viel mitnehmen können. Höchstens die Hoffnung, dass die Deutschen nicht länger von einem Vorzeigeprojekt sprechen. Es heißt, dass Addax einen neuen Investor sucht. Solange ruht die Produktion. Die DEG, so meldet die Bundesregierung dann doch, sei tatsächlich aus dem Projekt ausgestiegen, Addax habe das Darlehen zurückgezahlt. Das BMZ sagt, es prüfe, ob man den Menschen in Sierra Leone weiter helfen könne.

Abass Kamara kann nun nichts weiter tun als weiter zu warten. Solange die Deutschen weiter prüfen, sagte er, wachse in Sierra Leone die Angst vor Armut und Hunger.

 

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Autor/in
Pia-Luisa Lenz
Kristopher Sell
Redaktion
Lutz Ackermann
Dietmar Schiffermüller
Produktionsleiter/in
Nicole Deblaere
Redaktion
Schiffermueller, Dietmar
Das Logo von #NDRfragt auf blauem Hintergrund. © NDR

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