MV Werften - die kaschierte Pleite?

Stand: 13.10.2020 20:30 Uhr

193 Millionen Euro Notkredit hat die Bundesregierung den angeschlagenen MV Werften gewährt. Doch Recherchen von Panorama 3 zeigen, wie aussichtslos die Lage wirklich ist.

von Stefan Buchen

Ein wichtiger Schritt auf dem Weg zur Rettung der MV Werften sei getan. So begrüßte die Regierung von Mecklenburg-Vorpommern die Gewährung eines Notkredits der Bundesregierung in Höhe von 193 Millionen Euro für die angeschlagenen MV Werften in Wismar, Rostock und Stralsund, auf denen Kreuzfahrtschiffe gebaut werden. Recherchen von Panorama 3 zeigen, dass die wirtschaftliche Lage der Werft und ihres alleinigen Gesellschafters, des Glücksspiel- und Kreuzfahrt-Konzerns Genting aus Hongkong, wenig Anlass zur Hoffnung gibt.

Eigentlich hatte das Unternehmen einen schnellen Kredit über 570 Millionen Euro von Deutschland haben wollen. Monatelang hatten die politischen Entscheidungsträger in Land und Bund betont, dass ein Notkredit aus dem Wirtschaftsstabilisierungsfonds (WSF) nur gewährt werden könne, wenn Gutachten das Geschäftsmodell - den Bau von Kreuzfahrtschiffen vornehmlich für den asiatischen Reisemarkt - als aussichtsreich bewerten würden. Nun liegen diese Gutachten noch nicht vor. Deshalb stockt die Auszahlung der restlichen 377 Millionen Euro.

Vertrauliche Unterlagen belegen Uneinigkeit

Vertrauliche Unterlagen aus dem Wirtschaftsministerium von Mecklenburg-Vorpommern, die Panorama 3 vorliegen, belegen, wie uneinig sich Bundesregierung und der Genting-Konzern sind und wie hart die Interessen aufeinanderprallen. In einer als Verschlusssache deklarierten Mitteilung von Wirtschaftsminister Harry Glawe (CDU) an den Finanzausschuss des Landesparlaments werden Bedingungen aufgezählt, deren Erfüllung die Bundesregierung von Genting verlangt, damit sie die restlichen 377 Millionen Euro Notkredit auszahlt. Genting müsse etwa "die aufgelaufenen Zinsen" zahlen, müsse die weitgehend aufgebrauchte Sicherheitsrücklage in Höhe von 260 Millionen Euro wieder auffüllen. Und überhaupt müsse Genting "Liquiditätsbeiträge" zur Sanierung der MV Werften leisten.

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In der Schiffbauhalle der MVWerften am Standort Stralsund arbeiten Mitarbeiter an der Luxus-Expeditionsyacht "Crystal Endeavor". © dpa-Bildfunk Foto: Stefan Sauer

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Im Umkehrschluss bedeutet das: Diese Bedingungen hat Genting offenbar bislang nicht erfüllt. Bei der Lektüre dieser "Bedingungen" ergibt sich der Eindruck, dass Deutschland es hier mit einem Pleitekonzern zu tun hat. Und die Verhandlungsposition der Bundesregierung scheint nicht die beste zu sein. Wie aus dem vertraulichen Papier aus Schwerin hervorgeht, fordert die Bundesregierung die "Gleichbehandlung aller Gläubigergruppen". Daraus darf man schließen, dass die deutsche Staatsbank KfW, deren Tochter Ipex das Geschäft von Genting an der deutschen Ostseeküste von vornherein mit rund drei Milliarden Euro finanziert hatte und die nun die 193 Millionen Notkredit nachgeschossen hat, bisher im Vergleich zu anderen Gläubigern von Genting benachteiligt wird. In dem Papier ist von "Schadensausfallminderung" und der Gefahr der Insolvenz der MV Werften die Rede.

Anzeichen für Pleite

Angesichts der untrüglichen Anzeichen, dass die Pleite nahe ist, erstaunt eine andere Forderung der Bundesregierung an Genting. Der Konzern müsse zusagen, so verlangt es Berlin, "mindestens sechs neue Universal-Schiffe auf den MV Werften" zu bauen. Schiffe der sogenannten "Universalklasse" nehmen bis zu 2.000 Passagiere an Bord. Nach dem Scheitern des Geschäftsmodells "Kreuzfahrtschiff" verlangen Bundesfinanz- und Bundeswirtschaftsministerium also den Bau von noch mehr Kreuzfahrtschiffen. Gibt es einen Bedarf für "mindestens" sechs neue Kreuzfahrtschiffe? Der Senior-Chef der Meyer Werft aus Papenburg in Niedersachsen räumte im April ein, es würden zurzeit "einfach nicht mehr so viele Kreuzfahrtschiffe gebraucht".

Glücksspiel- und Kreuzfahrt-Konzern Genting aus Hongkonk, Gesellschafter MV Werften © NDR
Eine Garantie für die "Rückzahlung der WSF-Mittel" hätte die Bundesregierung gern von Genting - die gibt es bisher aber offenbar nicht.

Die Bundesregierung sieht offenbar keinen Widerspruch. Konkreten Fragen hierzu weicht das Bundesfinanzministerium aus. Ein Sprecher verweist lediglich auf die Absicht, den größten und von der Corona-Pandemie in Mitleidenschaft gezogenen Industriebetrieb in Mecklenburg-Vorpommern zu unterstützen. Der Bund helfe mit der Brückenfinanzierung von 193 Millionen Euro, den Geschäftsbetrieb aufrecht zu erhalten. Fragen zu seiner finanziellen Lage beantwortete Genting nicht.

Würden sich die Planungen für den neuen Schiffstyp konkretisieren, würde es noch teurer. Aus einer Vorlage des Bundeskabinetts vom Juni, die Panorama 3 einsehen konnte, geht hervor, dass der akute Finanzbedarf der MV Werften von 570 auf 700 Millionen Euro ansteigen würde. Allein 113 Millionen Euro würde das "Design" des neuen Universal-Schiffstyps kosten.

Die ersten 193 Millionen sind jedenfalls geflossen, laut Papier des Schweriner Wirtschaftsministeriums auf ein Konto der MV Werften Holding UK, also nach Großbritannien. Eine Garantie für die "Rückzahlung der WSF-Mittel" hätte die Bundesregierung demnach gern von Genting, aber offenbar gibt es diese bisher nicht. Zur Absicherung hat sich die Bundesregierung eine "erstrangige Schiffshypothek" auf das in Stralsund im Bau befindliche Luxusschiff "Crystal Endeavour" einräumen lassen.

Weitere Geschäftsbereiche verpfändet

Für den Bund, so teilt Landeswirtschaftsminister Glawe in dem vertraulichen Dokument mit, sei es "von entscheidender Bedeutung, dass die Rückzahlung des Überbrückungskredits im Insolvenzfall der MV Werften allein aus der Verwertung gewährter Sicherheiten sichergestellt werden kann".

Dafür scheint nach Auffassung des Bundes die "erstrangige Schiffshypothek" an der unfertigen "Crystal Endeavour" nicht zu reichen. Denn die Bundesregierung hat auch das "Anlagevermögen der Fertigmodule Wismar GmbH", einer Tochter der MV Werften, in der Passagierkabinen gefertigt werden, verpfändet. Ebenso das Schiffskabinen-Hotel in Wismar und "einzelne Anlagegüter" wie Schiffskräne und Motoren an den drei Werftstandorten.

Global II: Verschrotter für Rohbau?

Jedenfalls soll nun, nach mehr als einem halben Jahr Kurzarbeit, auf den Werften wieder geschweißt und geschraubt werden. Sowohl das Luxusschiff als auch das Riesenschiff Global I sollen im kommenden Jahr fertig werden. Auf dem Projektkonto der Global I sind noch 78 Millionen Euro. Das Geld soll reichen, um den gegenwärtigen Bauabschnitt "D" bis Februar abzuschließen. Für den nächsten Bauabschnitt "E" brauchen die MV Werften dann laut Kabinettsvorlage vom Juni die Freigabe einer weiteren Kredittranche von 600 Millionen Euro. Diese Phase scheint angesichts der gegenwärtigen Lage recht weit weg. Das Geschäft mit dem Schiff Global II ist jedenfalls beendet. Die Kredite dafür habe Genting den Gläubigern zurückgegeben, heißt es in dem Papier aus dem Schweriner Ministerium. Für den Rohbau in Rostock-Warnemünde, sagen Insider, suche MV Werften einen Verschrotter.

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Dieses Thema im Programm:

Panorama 3 | 13.10.2020 | 21:15 Uhr

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