Stand: 29.08.2016 15:50 Uhr

Lokführer - übermüdet auf der Schiene

von Leonie Puscher und Ingo Thöne

Hunderte Güterzüge fahren täglich über deutsche Gleise. Signale, Weichen, Bahnübergänge - zu jedem Zeitpunkt muss ein Lokführer höchst konzentriert sein, denn bei einem Unfall mit Personenzügen könnten die Folgen katastrophal sein. Aber wie sieht die Wirklichkeit aus? Ein Lokführer, der fünf Jahre im Güterverkehr gearbeitet hat, berichtet Panorama 3, dass die Regelarbeitszeit von acht Stunden häufig überschritten wird: "Die Fahrzeiten werden sehr weit gestreckt. Das längste, was ich gefahren bin, waren 15 Stunden. Am Stück. Also ohne jetzt die Lok zu verlassen." Er erzählt, dass bei solchen Fahrtzeiten nicht nur die Konzentration nachlasse, sondern er bereits auch schon eingeschlafen sei. Über eine Stunde habe er einmal auf einer fahrenden Lok geschlafen. Die zur Sicherheit installierte Sicherheitsfahrschaltung (Sifa), die im Regelfall alle 30 Sekunden unterbrochen werden muss, bediene man nach einigen Jahre als Lokführer buchstäblich im Schlaf. "Meine Frau Frau sagt mir, dass mein Fuß beim Schlafen immer das imaginäre Pedal der Sifa drückt."

VIDEO: Lokführer: Übermüdet auf der Schiene (8 Min)

Sicherheitsrisiken gehen vermehrt von Privatbahnen aus

Eine führerlose Lok - das ist eine Gefahr für die Sicherheit auf deutschen Schienen. Generell gehen Sicherheitsrisiken vermehrt von sogenannten Privatbahnen aus. Neben der Deutschen Bahn gibt es 433 verschiedene Eisenbahnunternehmen. Der Konkurrenz- und Kostendruck für die Unternehmen ist hoch. Und nicht nur gegen die vorgeschrieben Arbeitszeiten wird immer wieder verstoßen. Als Lokführer muss man für die Strecken, auf denen man unterwegs ist, eine sogenannte Streckenkenntnis besitzen. Das heißt: Man muss auf einer Strecke bereits mehrmals als Begleiter mitgefahren sein, bevor man eigenständig einen Streckenabschnitt befahren darf. Notwendig ist dieses Vorgehen, um die jeweilige Stellung der Signale und mögliche Besonderheiten einschätzen zu können. Dabei liegt es in der rechtlichen Verantwortung der Eisenbahnunternehmen, den Lokführern die notwendigen Informationen zur Streckenkenntnis zu vermitteln.

Bei Eisenbahnunternehmen in Deutschland wird unterschieden in:

Öffentlich: Diese Eisenbahnunternehmen dienen dem öffentlichen Verkehr, wenn sie gewerbs- oder geschäftsmäßig betrieben werden und jedermann sie nach ihrer Zweckbestimmung zur Personen- oder Güterbeförderung benutzen kann.
Nicht-öffentlich: Museumsbahnen oder ähnliches, die nicht dem öffentlichen Verkehr dienen.
Bundeseigen: Alle Eisenbahngesellschaften, die sich ganz oder mehrheitlich im Besitz der Bundesrepublik Deutschland befinden. In der Regel sind dies Unternehmen der Deutschen Bahn AG.
Nicht-bundeseigen: Alle Eisenbahngesellschaften, die sich nicht mehrheitlich im Besitz des Bundes befinden. Umgangssprachlich auch als „Privatbahnen“ bezeichnet.

Auch auf unbekannten Strecken eingesetzt

In der Praxis allerdings soll diese Regelung jedoch oft umgangen werden. Mehrere Lokführer berichten Panorama 3, dass sie von ihrem Arbeitgeber oft auch auf unbekannten Strecken eingesetzt werden. Um dann bei möglichen Kontrollen nicht aufzufallen, werde die unbekannte Strecke in dem vom Lokführer zu führenden "Streckenkunde Erwerbsschein", eine Art Fahrtenbuch, eingetragen. Somit wird die nicht vorhandene Streckenkenntnis trotzdem bescheinigt. Nachzuvollziehen ist dieser Trick bei Kontrollen nicht.

Wettbewerb bestimmt die Regeln

Helmut Diener, Geschäftsführer von Mobifair, eine Interessensorganisation von Eisenbahnern für gerechte Arbeitsbedingungen.
Helmut Diener, Geschäftsführer von Mobifair, kritisiert, dass die Qualifikation der Lokführer sinkt.

Helmut Diener ist Geschäftsführer von Mobifair, einer Interessensorganisation von Eisenbahnern für gerechte Arbeitsbedingungen. Er beobachtet die Liberalisierung des Schienenverkehrs mit Sorge: "Wenn sich alle 450 Eisenbahnverkehrsunternehmen an gleiche Regeln halten würden, würde das für den Wettbewerb ziemlich gut sein. Das ist aber nicht der Fall. Um im Wettbewerb zu gewinnen, muss man billig sein. Und billig wird man, wenn man Personal einspart, die Lokführer länger unterwegs fahren lässt und die Ausbildung, die Qualifikation des Personals mindert."

Privatbahnen für zwei Drittel der Signalverfehlungen verantwortlich

Wie kann es sein, dass es immer wieder zu prekären Arbeitseinsätzen kommt? Die verschiedenen beschuldigten Unternehmen antworten auf Panorama 3-Anfrage lapidar: "Sicherheitsdefizite in unserem Unternehmen sind uns nicht bekannt." Und: "In unserem Unternehmen gibt es keine Planschichten, die gegen das Arbeitszeitgesetz verstoßen."

Trotzdem werden im Durchschnitt pro Jahr etwa 400 rote Signale überfahren. Normalerweise sollte dann eine Zwangbremsung erfolgen und der Lokführer muss den Fahrdienstleiter im Anschluss kontaktieren. Aber nicht in jedem Fall wird dieses Prozedere eingehalten. Eine Studie der Technischen Universität (TU) Dresden zeigt, dass Privatbahnen pro gefahrenem Trassenkilometer in der Vergangenheit dreimal so viele rote Signale überfahren haben wie die Lokomotivführer der Deutschen Bahn. (*) Interessensverbände wie Mobifair oder die Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft (EVG) fordern deshalb mehr Kontrollen durch die zuständige Aufsichtsbehörde - das Eisenbahnbundesamt.

Alarmierende Ergebnisse

Auf Anfrage teilte das Eisenbahnbundesamt dem NDR mit, dass "das Sicherheitsniveau im Schienenverkehr grundsätzlich hoch" sei. Für die Einhaltung der Arbeitszeit hingegen sei man hier nicht zuständig, sondern die Gewerbeaufsichtsämter der Länder. Dort gibt es allerdings laut Experten wie Helmut Diener nicht genügend Personal, um die Lokführer auf deutschen Schienen zu überwachen. Und wenn Gewerbeaufsichtsämter tätig werden, sind die Ergebnisse alarmierend: So ergab eine Untersuchung der Gewerbeaufsicht Rheinland-Pfalz, dass sich von sieben untersuchten Eisenbahnverkehrsunternehmen nur drei an das Arbeitszeitgesetz hielten. Die Gewerbeaufsicht Sachsen-Anhalt spricht davon, dass in 50 Prozent der Fälle die Kontrolleure Regelverstöße feststellten.

 

(*) In einer vorherigen Version hatten wir geschrieben, dass Privatbahnen für ca. zwei Drittel dieser Signalverfehlungen verantwortlich sind. Richtig ist, dass sie dreimal so viele rote Signale überfahren haben wie die Lokomotivführer der Deutschen Bahn.

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Dieses Thema im Programm:

Panorama 3 | 30.08.2016 | 21:15 Uhr

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