Insektensterben: Können Landwirte mehr tun?
Phil Hogan, der EU-Kommissar für Landwirtschaft, wollte es wissen. EU-Bürger sollten in einer groß angelegten Umfrage mitteilen, wie Sie sich die Zukunft der EU-Agrarpolitik vorstellen. Die Ergebnisse, die im Sommer vorgestellt wurden, zeigen eines sehr deutlich. Für Landwirte in der EU ist die Sicherung eines guten Lebensstandards das Wichtigste, was sie sich von der künftigen EU-Agrarpolitik erhoffen. Alle Nicht-Landwirte, die an der Umfrage teilnahmen, hielten dagegen den Umwelt- und Klimaschutz für die größte Herausforderung in den kommenden Jahren.
Aus diesen Ergebnissen lässt sich schließen, dass der Druck auf die Landwirtschaft groß ist, mehr für die Umwelt zu tun, als bisher. Gleichzeitig wird auch deutlich, dass die Landwirte offenbar um ihre Einkommen fürchten. Möglicherweise spielt dabei auch eine Rolle, dass die hohen Ausgaben der EU für Landwirtschaft nicht zuletzt durch zu erwartende Einnahmeeinbrüche infolge des Brexits ohnehin zunehmend hinterfragt werden. Im Zeitraum des EU-Finanzrahmens von 2014 bis 2020 fließen jährlich rund 40 Prozent des gesamten EU-Budgets in diesen Sektor.
Nitratbelastung: EU verklagte Deutschland
Warum sich viele Deutsche um die negativen Umweltfolgen der intensiven Landwirtschaft sorgen, dürfte besonders mit einem Thema zu tun haben: Der Nitratbelastung des Grundwassers. Seit Jahren warnen besonders Wasserversorger vor den negativen Folgen. Der Grund für die hohen Werte ist, dass zu viel Gülle auf die Felder ausgebracht wird. Da seit Jahren Grenzwerte nicht eingehalten werden, hat die EU Deutschland im vergangenen Jahr sogar vor dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) verklagt.
Das Bundesamt für Naturschutz (BfN) weist aktuell darauf hin, dass die intensive Landwirtschaft untere anderem auch eine Bedrohung für Insekten und Vögel darstellt. "Wir beobachten bei den Insekten zum Teil deutliche Rückgänge bei den Artenzahlen. Was uns aber noch stutziger macht, ist, dass auch die Biomasse, also die einzelnen Individuen, rückläufig ist. Hier sind an einzelnen Standorten Rückgänge um bis zu 80 Prozent dokumentiert", sagt die Präsidentin des BfN, Prof. Beate Jessel. Die Zahlen beziehen sich auf den Zeitraum 1982-2017. Eine Zahl für den deutschlandweiten Rückgang der Insekten gibt es allerdings nicht.
Durch die Abnahme bei den Insekten gehen nicht nur wichtige Bestäuber verloren. Es fehlt auch die Hauptnahrung für viele Vögel. Bei den Vögeln der Agrarlandschaft sind im Zeitraum 1980-2014 Rückgänge um über 50 Prozent festzustellen. Für Hermann Hötker, Leiter des Michael-Otto-Instituts im NABU, ist die Situation dramatisch: "Der Artenschwund in landwirtschaftlich genutzten Flächen ist tatsächlich eines der größten Umweltprobleme, das wir hierzulande beobachten können."
Rückgang der Arten durch Dünger
Für den Rückgang macht Prof. Jessel, neben dem Bau von Straßen und Häusern, besonders die intensive Landwirtschaft verantwortlich. Die Felder "werden immer größer. Dadurch gehen Randstrukturen wie Hecken oder Blühstreifen zurück, das Blüten- und damit Nahrungsangebot für Insekten wird geringer." Prof. Jessel weist darauf hin, dass Einsatz von Dünge- und Pflanzenschutzmittel über die letzten Jahre immer weiter zugenommen habe. "Es wird einfach zu viel gedüngt und gespritzt." Aus einem breiten Spektrum von Verbänden, Organisationen, Wissenschaftlern und Behörden werden daher Forderungen nach einer Abkehr von der bisherigen Politik der Agrarsubventionen laut. Alle fordern, dass die Landwirtschaft künftig stärker als bisher für das Erbringen von Umweltleistungen bezahlt werden muss. Bisher ist das nur ansatzweise der Fall.
Rund 70 Prozent der EU-Agrarsubventionen werden über die sogenannte "erste Säule (EGFL)" direkt an die Landwirte ausgezahlt und zwar gekoppelt an die Fläche. Wer viel Land bewirtschaftet bekommt viel Geld, wer wenig bewirtschaftet erhält weniger. In Deutschland werden derzeit jährlich rund 4,85 Milliarden Euro direkt an 317.000 Betriebe verteilt.
Bauernverband kritisiert Flächenzahlungen
Der Präsident des Ökobauernverbands Bioland, Jan Plagge, hält die pauschalen Flächenzahlungen über die erste Säule für nicht effizient, da hier nach dem "Gießkannenprinzip" verfahren wird. Er bemängelt, dass ein Großteil der Subventionen über die Pachtzahlungen an Flächeneigentümer weitergereicht würden. Für den aktiven Landwirt wäre dadurch wenig gewonnen. Seiner Meinung nach sollten die EU-Agrargelder für konkrete Leistungen der Landwirte in den Bereichen Umwelt, Klima, Tierschutz eingesetzt werden.
Jürgen Hirschfeld, Mitglied im Vorstand des niedersächsischen Landvolks, also des Bauernverbands, verteidigt die bisherige Subventionen. "Also wenn wir die Direktzahlungen streichen, dann kommt bei mir wesentlich weniger Geld an und wenn das an direkte Umweltleistungen gekoppelt wird, bedeutet das, dass ich einen enormen zusätzlichen Aufwand nochmal oben drauf habe, der dann nicht stärker honoriert wird. Das würde für mich mächtige finanzielle Verluste bedeuten." Hirschfeld begrüßt auch, dass Altbauern, die ihre Flächen an aktive Landwirte verpachtet haben, über Pachteinnahmen von der EU-Förderung profitierten. Er mahnt, dass nicht nur die Bauern das Problem des Artenschwunds lösen könnten und fordert, dass auch der einfache Bürger dafür sorgen müsse, dass in den Gärten mehr blühe als momentan.
Ökopunkte und "Gemeinwohlleistung" als Ausweg?
Prof. Friedhelm Taube von der Universität Kiel schlägt für die Zukunft ein neues Fördersystem vor. Bei dem soll die Basisprämie, also die Direktzahlung, um zwei Drittel gekürzt werden. Anschließend sollen Landwirte für das Erbringen von Umweltleistungen Ökopunkte erhalten. Wer beispielsweise wenig düngt, bekommt Punkte. Diese Punkte wiederum würden über die Höhe der Subventionen entscheiden. Prof. Taube nennt dieses Instrument "Gemeinwohlleistung". Er stützt sich dabei auf Ideen des deutschen Landschaftspflegeverbands. Er wünscht sich, dass bei den Landwirten ein Umdenken einsetzt. Man soll stolz darauf sein, für die Umwelt etwas getan zu haben. "Bisher war die gesellschaftliche Leistung allein die Bereitstellung von Nahrungsmitteln. Wir wissen aber inzwischen, dass wir viel stärker die zusätzlichen Dienstleistungen wie Wasserschutz, Pflanzenschutz und Biodiversität bedienen müssen. Von daher müssen Landwirte akzeptieren, dass die Transferzahlungen, die sie im Jahr fast ohne nennenswerte Umweltauflagen bekommen, zunehmend an Umweltauflagen gebunden werden. Denn die gesellschaftliche Leistung der Landwirtschaft ist nicht nur landwirtschaftliche Produktion sondern auch Erhaltung der Umwelt."