Die planlose Asylpolitik der Bundesregierung
Hunderte Flüchtlinge reisen täglich durch Norddeutschland. Ihr Ziel: Skandinavien. Die meisten wollen nach Schweden. Bis vor einer Woche hat die Polizei viele von ihnen noch kontrolliert, sie an der Weiterreise gehindert und registriert. Doch seit einigen Tagen lässt die Polizei die Menschen ungehindert passieren. Sie fahren mit dem Zug nach Dänemark weiter oder nehmen die Fähren von Travemünde, Kiel, Sassnitz oder Rostock direkt nach Schweden.
Weiterreise gestoppt
Familie Youssef aus Syrien hat sich in München ein Bahnticket direkt nach Kopenhagen gekauft. Vergangenen Mittwoch fährt sie los. Doch in Flensburg wird ihre Weiterreise gestoppt. Die Dänen haben den grenzüberschreitenden Zugverkehr unterbrochen, wollen keine Flüchtlinge illegal aus Deutschland einreisen lassen. Familie Yussef und gut 200 weitere Flüchtlinge stranden unfreiwillig am Flensburger Hauptbahnhof. Dutzende freiwillige Helfer kümmern sich, verteilen Kleidung, das Technische Hilfswerk baut Essensstände auf. Auch die deutsche Polizei ist mit mehreren Mannschaftswagen vor Ort.
Polizei als Freund und Helfer
Doch die Polizisten sind nicht hier, um die Flüchtlinge zu registrieren. Ganz im Gegenteil: Sie helfen ihnen bei der Weiterreise nach Schweden. In Bussen fahren sie 150 Flüchtlinge, darunter Familie Youssef, für die Nacht in die Erstaufnahme nach Boostedt. Von dort bringt die Polizei sie am nächsten Morgen direkt bis ans Fährterminal nach Kiel.
Ausreise mit Unterstützung der Polizei - ganz offiziell. Schleswig-Holsteins Ministerpräsident Torsten Albig, SPD, befürwortet die Entscheidung der Landespolizei, sieht es als humanitäre Aktion, die Menschen auf ihrer Reise nach Schweden "positiv zu begleiten". Einen Rechtsbruch sieht er nicht.
Bleibt Dublin III gewahrt?
Dabei gelten eigentlich die EU-Gesetze der so genannten Dublin III-Verordnung. Die besagt, dass Menschen auf der Flucht in dem ersten EU-Land, das sie betreten, ihren Asylantrag stellen müssen. Und auch die Bundesregierung hat stets klar gemacht, dass kein Flüchtling sich aussuchen könne, wo er hinkommt. Die Polizei handelt nachvollziehbar und menschlich, wenn sie in dieser Situation keine Zwangsmaßnahmen gegen die Flüchtlinge ergreift, aber verstößt das wirklich nicht gegen die Dublin-Verordnung, wie Albig betont?
Grenzkontrolle im Süden, offene Grenzen im Norden
Im Süden Deutschlands zeigt sich in diesen Tagen ein ganz anderes Bild. Als Reaktion auf die unkoordinierte Einreise tausender Flüchtlinge in den vergangenen Wochen hat die Bundespolizei in Bayern vorübergehend wieder Grenzkontrollen eingeführt. Sie kontrolliert wie zuletzt vor über 20 Jahren. Flüchtlinge dürfen hier zwar in die Bundesrepublik einreisen, doch sie müssen sich sofort registrieren lassen.
Nach welchen Leitlinien handelt die Bundesregierung derzeit?
"Das Krisenmanagement auf bundespolitischer Ebene ist desaströs, ein Plan nicht zu erkennen", sagt Heribert Prantl, stellvertretender Chefredakteur der Süddeutschen Zeitung. "Man wird ganz schnell überlegen müssen, was an die Stelle von Dublin tritt, denn Dublin ist nicht mehr praktizierbar, und das war schon vor der Zuspitzung der Flüchtlingskrise so."
Doch bislang beharrt die Bundesregierung unverdrossen auf der Gültigkeit der Dublin-Regeln. "An den Grundlagen hat sich nichts geändert. Das europäische Asylrecht gilt, und wir verhalten uns auch entsprechend", so Regierungssprecher Steffen Seibert auf einer Pressekonferenz am Montag in Berlin.
Schweden fordert europäische Lösung
Die schwedische Regierung hat die unkontrollierte Einreise von Flüchtlingen aus Deutschland bisher nicht zurückgewiesen. Für den schwedischen Integrationsminister Morgan Johansson ist dies eine außergewöhnliche Situation, die pragmatisches Handeln erfordere. Längerfristig sei das jedoch nicht tragbar: "Deswegen müssen wir uns die Dublinverordnung ansehen und schauen wie wir das generell in Europa lösen", so Johansson gegenüber Panorama 3.
Familie Youssef hat es mit der Fähre bis nach Göteborg geschafft. Die deutsche Polizei wird Zad Yuossef positiv im Gedächtnis bleiben: "Sie haben uns gut behandelt und wir sind dankbar für die Fahrt zur Fähre." Seit der letzten Woche registrieren sich täglich über 600 Flüchtlinge in Schweden. Die meisten sind durch Deutschland gereist.
Wie leicht es auch in Zukunft für Flüchtlinge sein wird, ohne Registrierung aus Deutschland auszureisen, ist schwer vorhersehbar, solange der Kurs der Bundesregierung in der Asylpolitik so schwankend ist.