Der Turmbau von Hamburg
Seit Ende 2023 passiert an der größten Bauruine Hamburgs, dem halbfertigen Elbtower, nichts mehr. Recherchen von Panorama 3 legen nahe: Es war absehbar, dass der Koloss nicht fertig werden würde - denn die geplante Finanzierung war still und heimlich weggebrochen. Wie konnte das passieren?
Ein Dummer wirft einen Stein in den Brunnen und hundert Weise schaffen es nicht, ihn wieder herauszuholen. In der weiten Welt fehlt es nicht an Sachverhalten, auf die sich das orientalische Sprichwort anwenden lässt. Der Elbtower in Hamburg ist gewiss einer davon. Mit hundert Metern ist die Bauruine zu hoch, um sie schnell wieder abzureißen, aber zu niedrig, um sie ohne Weiteres auf die geplanten 245 Meter hochzuziehen. Ein neuer Bauherr hätte bei dem Überangebot an Büroraum seine liebe Mühe, die 64 Stockwerke rentabel zu vermieten. Und was ist mit den Investoren, die bereits Geld in das vorläufig gescheiterte Projekt gesteckt haben und dieses gern zurückbekämen? Sie sind, man denke an den Milliardär Klaus-Michael Kühne, nicht bekannt dafür, dass sie gern etwas verlieren.
Die Freie und Hansestadt Hamburg könnte den Rohbau in fünf Jahren zurückkaufen, ein Dach daraufsetzen und die vorhandenen Stockwerke für soziale Projekte und eigene Behörden nutzen. Aber was würde der Elbtower-Architekt dazu sagen, wenn die von ihm entworfene Eleganz, das Gesamtkunstwerk, bei weniger als der halben Höhe einfach abgeschnitten würde? Außerdem hat der Senat immer betont und tut es weiterhin, dass er kein staatliches Geld in den Bau leiten wolle. Seit mehr als einem halben Jahr geht nichts mehr an der Turmbaustelle. Der alte Bauherr René Benko ist mit seinem Konzern Signa in die Insolvenz gerutscht.
Bereits vor Baubeginn fehlte Kapital
Wir merken, hundert Weise sind nicht genug. Und das macht die Frage umso interessanter, wie es denn überhaupt zu dieser exakt hundert Meter hohen Betonruine kam, die Benko im Jahre 2023 errichtete.
Die Recherche zeigt, dass der sperrige, unfertige Koloss zweifelhafter Schönheit schon seit Baubeginn das absehbare Ergebnis war. Denn das Geld reichte genau dafür und nicht für mehr. Nur: der Senat, der am Eingang der Stadt neben den Elbbrücken ein "skulpturales Gebäude" (Grundstückskaufvertrag) entstehen lassen wollte, wusste bei Baubeginn Anfang 2023 nichts davon, dass für den Elbtower gar nicht mehr genug Kapital vorhanden war. Die Finanzierung war still und leise weggebrochen, ohne dass es jemand außer den direkt Beteiligten gemerkt hätte.
Direkt beteiligt war die Landesbank Hessen-Thüringen, kurz Helaba. Diese zog am 27. Februar 2023 einen Kredit von 150 Millionen Euro, den sie im Herbst 2022 zugesagt hatte, zurück. Das Bankenkonsortium, das weitere Kredite von bis zu 500 Millionen Euro beisteuern sollte - so hatten es Finanzierungsexperten im Vorjahr in Aussicht gestellt - war nicht zustande gekommen. Vom Eigenkapital des Signa-Konzerns war im Februar 2023 offenbar nur noch die Hälfte da. Am 23. September 2022 noch hatte der Geschäftsmann einen Kontoauszug mit 553 Millionen Euro Guthaben als Eigenkapital für das Elbtower-Projekt präsentieren lassen. Im Februar 2023, also bei Baubeginn, standen ihm noch 275 Millionen zur Verfügung.
All dies blieb dem Senat monatelang verborgen, während der Rohbau in die Höhe wuchs. Das geht aus nichtöffentlichen Protokollen des Haushaltsausschusses der Hamburgischen Bürgerschaft hervor, in die Panorama 3 Einblick nehmen konnte. "Ein sehr kurzer Zeitraum" sei das gewesen, innerhalb dessen das Geld für den Elbtower verschwand, meint Markus Schreiber, Abgeordneter der Hamburger SPD, der im Gegensatz zur Mehrheit seiner Partei die Vergabe des Projekts an den Bauherrn René Benko von vornherein kritisch betrachtete.
Nach Vertragsabschluss keine "Einsichtsrechte" mehr
Die Erklärung liegt im Grundstückskaufvertrag. Die Finanzierung des Elbtowers mit Eigen- und Fremdkapital war demnach als Bedingung für die Übergabe des Grundstücks zu prüfen. Die Prüfung der Finanzierung erfolgte im Herbst 2022 und die Grundstücksübergabe im Januar 2023.
"Sämtliche Nachweise wurden fristgerecht und vollständig eingereicht," sagt Andreas Kleinau, Geschäftsführer der Hafencity GmbH, also der städtischen Gesellschaft, die das Geschäft mit dem Benko-Konzern vollzog. "Das wurde dann auch von unserer Seite fachmännisch geprüft." Nach der Übergabe des Grundstücks sei vertragsgemäß keine Kontrolle des Kapitals für den Elbtower mehr vorgesehen gewesen. "Wir hatten keine Auskunfts- und Einsichtsrechte mehr", sagt Kleinau im Interview mit Panorama 3. Der Elbtower-Beauftragte des Senats klingt ein wenig wie ein Arzt, dessen Patient zwar tot ist, der aber trotzdem von einer erfolgreichen Operation nach allen Regeln der Kunst berichtet.
Recht hat der städtische Geschäftsführer zweifellos mit seinem Hinweis auf die Vertragskonformität seines Vorgehens. Dies wirft allerdings die Frage nach der Qualität des Vertrages auf. War der Bauherr Benko nicht jemand, dessen Finanzen man sich in jeder Etappe des Projekts hätte genau ansehen sollen? "Es ging aus Sicht des Senats in dem Vertrag darum, sicherzustellen, dass es nicht zu etwas kommt, was wie eine Bauruine aussieht," sagt Heike Sudmann von der Fraktion "Die Linke". Und dies sei "komplett daneben gegangen".
Der Vertrag ist dick, hat 197 Seiten, spricht von Benko als "leistungsfähigem Bauherr erstrangiger Bonität", der eine "unterbrechungsfreie, vollständige und qualitätsvolle Realisierung" des Elbtowers garantiere. Nach der Grundstücksübergabe sei nicht mehr die Finanzierung, sondern der Baufortschritt am Turm zu überwachen, wie Hafencity-Geschäftsführer Kleinau unter Berufung auf den Vertrag bekräftigt. Und der Baufortschritt war 2023 augenscheinlich da. Der Rohbau wuchs in die Höhe. Dennoch passierten hinter den Kulissen bald Ungereimtheiten.
"EDV-Fehler" im Wert von 38 Millionen Euro
Zur Überwachung des Baufortschritts gehörte die Prüfung des Mittelabflusses an den Rohbauer: die Firma Lupp. Wie in der vertraulichen Dokumentation der Bürgerschaft festgehalten ist, gab Benkos Konzern irgendwann im Laufe des Jahres 2023 Zahlungen an die Baufirma an, die er gar nicht geleistet hatte. Es kam zu einer "rechnerischen Differenz" von 38 Millionen Euro. Diese wurde, als sie schließlich auffiel, von René Benkos Konzern Signa gegenüber der Stadt Hamburg mit einem "EDV-Fehler" begründet. Für ein solches Verhalten hält die deutsche Sprache Kraftausdrücke bereit, die wir an dieser Stelle vermeiden möchten. Jörg Hamann, als Bürgerschaftsabgeordneter der CDU bis 2020 ein früher Gegner des Paktes mit Benko, sieht sich bestätigt. Dieser sei "unseriös", das sei bekannt gewesen. Mit diesem Mann hätte der Senat nie Geschäfte abschließen dürfen. Hier liege "der Grundfehler", betont Hamann, der jetzt als Fachanwalt für Baurecht arbeitet, im Interview mit Panorama 3.
Andreas Kleinau möchte die Frage, ob er sich von Benko getäuscht fühle, nicht beantworten. Er betont, dass die Stadt keinen finanziellen Schaden davongetragen habe. Darin sekundiert ihm seine politische Vorgesetzte, die Senatorin für Stadtentwicklung Karen Pein, SPD. Durch den Verkauf des Grundstücks habe Hamburg 122 Millionen Euro eingenommen, hebt sie in einer Aktuellen Stunde der Bürgerschaft hervor. "Wir haben alle Sicherheit, damit die Stadt ohne finanziellen Schaden herauskommt". Der Grundstückskaufvertrag, welcher der Stadt etwa Wiederkaufsrechte für den Rohbau zusichere, gehe „zugunsten der Stadt Hamburg weit über das Marktübliche hinaus,“ wie ein Behördensprecher auf Anfrage mitteilte.
Vom städtebaulichen und ästhetischen Schaden spricht Senatorin Pein, gelernte Immobilienökonomin, lieber nicht. Aber selbst bei den Finanzen ist es nicht so eindeutig, wie sie suggeriert. Wenn der Insolvenzverwalter keinen Käufer für den Rohbau findet, wird sich die Stadt schließlich doch darum kümmern müssen. Und Ausgaben hatte die Stadt bereits, rund drei Millionen Euro für Berater. Die Profiteure sind bekannt, etwa der Anwalt Johannes Conradi, Partner von Freshfields, und der frühere Vorstand einer Berliner Bank, der für die Stadt die Fremdkapitalfinanzierung geprüft hat.
Verdacht auf "gekaufte Mieter"
Ein gutes Geschäft mit dem Turmprojekt dürfte auch der Doch-nicht-Kreditgeber Helaba gemacht haben. Die Landesbank spielte die Rolle des "Tauglichen Finanzierers". Ein solcher war im Grundstückskaufvertrag vorgesehen. Die Helaba stellte nicht bloß einen Kredit in Aussicht. Sie prüfte auch die Vorvermietungsquote. Benko musste nachweisen, dass er Mieter für 30 Prozent der Flächen des Elbtowers hatte. Der "Taugliche Finanzierer" bestätigte 2022 die Erfüllung dieser Voraussetzung gegenüber der Stadt Hamburg.
Inzwischen ist bekannt, dass zumindest der wichtigste dieser Mieter in spe, die Hamburg Commercial Bank (HCOB), aus dem Mietvertrag mit Signa ausgestiegen ist. Die Vorvermietungsquote sollte belegen, dass sich der Elbtower rentiert. Aber nun gibt es Zweifel, ob das Geschäft zwischen Benko und der HCOB überhaupt auf Seriosität beruhte. Der SPD-Abgeordnete Markus Schreiber hat "den Verdacht", wie er sagt, dass Benko sich "Mieter gekauft" habe, indem er ihnen ungewöhnliche Vorteile gewährte, wie etwa eine mehrjährige Mietfreiheit. Die Helaba ging auf eine NDR-Anfrage dazu nicht ein. Ein Banksprecher erklärte nur allgemein, dass man sich "zu Kundenverhältnissen nicht äußern" könne. Die HCOB ließ eine Anfrage unbeantwortet.
Die hundert Weisen für die Lösung der Geschichte werden noch gesucht. Wer der Dumme ist, der den Stein in den Brunnen warf, weiß jeder. Der ehemalige Erste Bürgermeister und amtierende Bundeskanzler Olaf Scholz hat sich 2018 für den Immobilieninvestor René Benko ausgesprochen. Heute sprechen all diejenigen, die täglich mit dem Auto oder der Bahn an der Ruine vorbeifahren, vom "Kurzen Olaf".
"Dieses Gebäude soll seiner Höhe nach zukünftig einzigartig in Hamburg bleiben," heißt es im Grundstückskaufvertrag zum Elbtower. Wenn der Senat auch in diesem Punkt vertragstreu bleiben möchte, muss er einstweilen alle Bauprojekte in der Hansestadt bei 99 Metern deckeln.