Stand: 06.11.2018 13:40 Uhr

Antisemitismus: Steigende Angst unter Juden

von Julian Feldmann

"Wir haben den Eindruck, dass Antisemitismus hoffähiger geworden ist", sagt Wolfgang Seibert. Der Vorsitzende der Jüdischen Gemeinde in Pinneberg hat gerade einen hohen Zaun um das Gemeindehaus installiert - dazu eine Alarmanlage mit Kameras und Bewegungsmeldern. Die Technik soll die Gemeindemitglieder schützen.

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06.11.2018 13:31 Uhr

In diesem Beitrag von Panorama 3 kommt Wolfgang Seibert zu Wort, der damalige Vorsitzende der Jüdischen Gemeinde in Pinneberg bei Hamburg. Obwohl wir seine gemachten Aussagen zum Antisemitismus in Deutschland nicht anzweifeln, hat sich mittlerweile herausgestellt, dass Wolfgang Seibert ein Hochstapler ist, der sich über Jahrzehnte eine falsche Identität aufgebaut hat. Wie der "Spiegel" nach umfangreichen Recherchen berichtet hat, sind Seiberts Behauptungen bzgl. seiner Großeltern, die Auschwitz überlebt hätten, zu seinen Eltern, die angeblich vor den Nazis England geflohen seien sowie sonstige Angaben zu seiner jüdischen Herkunft unwahr. Er hat seine Ämter bei der Jüdischen Gemeinde mittlerweile niedergelegt.

 

Weitere Informationen zu Wolfgang Seibert
Der Vorsitzende der Jüdischen Gemeinde Pinneberg, Wolfgang Seibert, steht vor dem Gemeindehaus. © NDR Foto: Janine Artist

Wolfgang Seibert: Der gefühlte Jude

So berichtete "Der Spiegel" über Wolfgang Seibert, der 15 Jahre an der Spitze der jüdischen Gemeinde Pinnebergs stand - mit einer gefälschten Biographie. extern

Zahl antisemitischer Straftaten gestiegen

Denn Juden in Deutschland haben Angst - vor Anschlägen, aber auch vor Anfeindungen im Alltag. In Pinneberg kamen immer weniger Besucher zum Gottesdienst, die Mitglieder der Jüdischen Gemeinde forderten schärfere Sicherheitsvorkehrungen ein. Mit dem hohen Zaun um den Gebetsraum fühlen sich die Gottesdienstbesucher nun sicherer.

Im ersten Halbjahr 2017 stieg die Zahl antisemitischer Straftaten in Deutschland erstmals seit zwei Jahren wieder an. Nach einer Studie des Unabhängigen Expertenkreises Antisemitismus des Bundestages erlebten knapp ein Drittel der deutschen Juden verbale oder tätliche antisemitische Angriffe.

Interview
Benjamin Steinitz © NDR Foto: Screenshot

"Erfahrungen mit Antisemitismus verändern den Alltag"

Benjamin Steinitz ist Leiter der "Recherche- und Informationsstelle Antisemitismus" (RIAS) in Berlin. Panorama 3 sprach mit ihm über Antisemitismus und Ängste von Juden in Deutschland. mehr

Jüdische Einrichtungen müssen in ganz Deutschland besonders geschützt werden - viele Synagogen bewacht die Polizei rund um die Uhr. Denn die Gefahren für Juden kommen aus unterschiedlichen Richtungen: Nicht nur Neonazis und Islamisten bedrohen sie. Der Judenhass findet sich auch in der gesellschaftlichen Mitte. Der Aufstieg der AfD und dass rechtes Denken wieder salonfähig geworden ist, bereitet Juden in Norddeutschland Sorge. Was vor einigen Jahren noch als unsagbar galt, wird heute laut ausgesprochen.

"Jude" als Schimpfwort auf dem Schulhof

Elvira Noa © NDR Foto: Screenshot
Die Stigmatisierung beginnt bereits im Kindesalter: Elvira Noa, Vorsitzende der Jüdischen Gemeinde im Lande Bremen, verweist auf Fälle, bei denen Eltern ihren Kindern raten, ihre Religion zu verleugnen - aus Angst.

Viele Mitglieder Jüdischer Gemeinden verheimlichten inzwischen sogar ihre Identität im Alltag. Jüdische Schüler würden an öffentlichen Schulen verbal attackiert, wenn sie offen zu ihrer Religion stehen, sagt Elvira Noa, Vorsitzende der Jüdischen Gemeinde im Lande Bremen. Die jüdischen Schulkinder würden etwa in Haftung genommen für die israelische Politik. "Sie werden beschimpft, ausgegrenzt und haben Angst", berichtet Noa. "Sie kommen dann heim und weinen." Einige Eltern würden ihren Kindern auch verbieten, offen über ihre Religion und Identität zu sprechen - aus Sorge vor Anfeindungen der Mitschüler. "Auf den Schulhöfen ist 'Jude' ein Schimpfwort - genauso wie 'Opfer'", sagt Gemeindevorsitzende Noa.

Persönliche Anfeindungen von Rechtsextremen

Matitjahu Kellig © NDR Foto: Screenshot
Matitjahu Kellig wurde angefeindet, weil er die Geschäftsbeziehungen der Stadt Preußisch Oldendorf mit einem rechtsextremen Verleger kritisierte.

Der Vorsitzende der Jüdischen Gemeinde Herford-Detmold, Matitjahu Kellig, hatte sich vor einem Jahr im WDR Fernsehen zu einem politischen Skandal geäußert: Kellig kritisierte, dass die Stadtverwaltung der Kleinstadt Preußisch Oldendorf in Ostwestfalen eine Geschäftsbeziehung mit einem rechtsextremen Verleger unterhält. Er forderte die Stadt auf, ihr offizielles Amtsblatt nicht mehr von dem Verleger herausgeben zu lassen, der auch Schriften veröffentlichte, die den Nationalsozialismus verherrlichten. Für diese Kritik wurde Kellig aus der rechtsextremen Szene angefeindet. Ein bekannter Neonazi beleidigt ihn im Internet als "frechen Juden-Funktionär" und fordert, den "Einfluss jüdischer Lobbyorganisationen auf die deutsche Politik" zu beenden.

Seitdem lebt der Gemeindevorsitzende in Angst: Er hat sein Haus besonders gegen Eindringlinge abgesichert - und auch sein Alltag hat sich verändert: "Wenn ich zu Hause unser Tor aufmache und aufs Grundstück fahre, dreh ich mich drei-, viermal um, ob nicht jemand hinter dem Busch hervorspringt", sagt Kellig. "Die Angst ist seit einem Jahr ein ständiger Begleiter."

 

Weitere Informationen
Eine historische Schwarz-Weiß-Aufnahme der Synagoge am Bornplatz im Hamburger Grindelviertel. © wikimedia

Auf den Spuren jüdischen Lebens in Hamburg

Ende des 16. Jahrhunderts kamen die ersten Juden aus Portugal ins damals dänische Altona. Etliche Orte erinnern an die bewegte Geschichte der Juden in der Hansestadt. mehr

Dieses Thema im Programm:

Panorama 3 | 21.11.2017 | 21:15 Uhr

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