Doku über Abschiebungen: Wir nehmen Ihre Kritik auf
Liebe Nutzerinnen und Nutzer,
wir freuen uns über Ihre ausführlichen Kommentare zu unserer Dokumentation "Protokoll einer Abschiebung" - vielen Dank dafür!
Einige von Ihnen stellen Fragen, üben Kritik oder äußern auch Zweifel an bestimmten Punkten in unserem Film. Hiermit möchten wir ihnen ausführlich antworten und unsere Recherche-Ergebnisse transparent machen.
1. Wussten die Familien, dass sie ausreisen mussten?
Die beiden albanischen Familien haben mit ihrem schriftlichen Ablehnungsbescheid des Asylantrags eine Aufforderung zur Ausreise bekommen. Dem liegt meist auch eine landessprachliche Übersetzung bei. Das war sowohl im Fall der Familie von Gezim als auch im Fall der Mutter mit ihren drei Kindern so.
An keiner Stelle des Films wird von den Filmemachern die Behauptung aufgestellt, die Familien hätten nicht gewusst, dass sie generell zur Ausreise aufgefordert wurden. Im Gegenteil: Es gibt mehrere Passagen in der Dokumentation, in der der Autor, die Vertreter der beteiligten Behörden, namentlich der Innenminister und ein Beamter der Polizei, genau diese Tatsache ausdrücklich hervorheben.
Gezims Familie hat den Bescheid, dass ihr Asylantrag abgelehnt wurde und dass sie ausreisen muss, bereits Ende 2015 erhalten. Weil seit dem Schreiben des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (BAMF) aber rund ein halbes Jahr vergangen war, hoffte die Familie zum Zeitpunkt unserer Dreharbeiten offenbar, dass die Abschiebung nicht mehr vollzogen würde. Insofern bezieht sich Gezims Aussage im Film, niemand habe ihn "vorgewarnt", auch nicht auf den zugestellten Ablehnungsbescheid, sondern darauf, dass die Abschiebung von den zuständigen Behörden nicht mit einem konkreten Termin angekündigt wurde, so wie es bis zu den Gesetzesänderungen 2015 vorgeschrieben und gängige Praxis war.
Die Familie, die vor einer möglichen Blutrache nach Deutschland geflüchtet ist und aus Stralsund abgeschoben wurde, hat den Bescheid, dass ihr Asylantrag endgültig abgelehnt wurde, Ende 2015 bekommen. Sie hat, gemeinsam mit ihrer Anwältin, versucht, gegen eine mögliche Abschiebung vorzugehen. Im Februar 2016 hat das Verwaltungsgericht Schwerin jedoch den Beschluss gefasst, dass die Entscheidung des BAMF, den Asylantrag der Familie abzulehnen, aufgrund der Einstufung Albaniens als "sicherer Herkunftsstaat" rechtmäßig war. Dass die Familie hätte ausreisen müssen, sagt die Polizei auch im O-Ton: "Das ist Recht und Gesetz. Die sind ausreisepflichtig und das gilt es umzusetzen."
2. Warum sind die Familien der Aufforderung zur Ausreise nicht nachgekommen?
Die Familie von Gezim hat gehofft, wie oben beschrieben, dass es doch noch irgendeine Möglichkeit gebe, bleiben zu können. In einer Situation, in der Gezim seine Arbeit als Finanzinspektor in Albanien aus, wie er sagt, politischen Gründen verloren hatte, erschien es ihm und seiner Frau für die Zukunft ihrer Kinder wichtig, sich hier ein neues, sicheres Leben aufzubauen. Die Fluchtgründe der Familie reichen nicht aus, um in Deutschland politisches Asyl zu erhalten. Der Film thematisiert diese Frage nicht, weil es in dieser Dokumentation nicht um eine Bewertung der Vergabepraxis von politischem Asyl geht, sondern, wie der Titel schon sagt, um das "Protokoll einer Abschiebung", sprich: um die Diskussion einer staatlichen Zwangsmaßnahme.
Im Fall der Mutter und ihrer drei Kinder hat die Angst vor der Blutrache dazu geführt, dass sie nicht ausgereist sind. Bis zum letzten Tag haben die Familie und ihre deutsche Anwältin deshalb darauf gehofft, dass es dazu nicht kommen wird.
3. Muss die Familie aus Stralsund die Blutrache tatsächlich fürchten?
Selbstverständlich hat der Autor zu dieser Frage ausführlich recherchiert und die entsprechenden Belege dazu liegen vor. Wir bitten aber um Verständnis dafür, dass es im Rahmen einer 45-minütigen TV-Dokumentation, die sich mit der Durchführung von Abschiebungen beschäftigt, nicht möglich ist, das Thema "Blutrache in Albanien" mittels sämtlicher vorliegender Dokumente und Belege im Film zu diskutieren.
Trotzdem an dieser Stelle ein paar weiterführende Erläuterungen: Die Familie, die aus Stralsund abgeschoben wurde, hat ihrem Asylantrag folgende Papiere beigelegt: Das Urteil eines albanischen Gerichtes zum Tötungsdelikt, das der Vater der Familie in Albanien begangen hat, sowie ein Schreiben des "Ausschusses für die Nationale Aussöhnung" der Republik Albanien, beide sowohl auf Albanisch, als auch mit notariell beglaubigter deutscher Übersetzung.
Im ausführlichen Gerichtsurteil, das den Vater zu 25 Jahren Haft in Albanien verurteilt, steht ausdrücklich, dass die Familie des Getöteten Blutrache geschworen hat. Auch im Schreiben des "Ausschusses für die Nationale Aussöhnung" der Republik Albanien wird dieser Sachverhalt bestätigt. Darüber hinaus betont das Schreiben des Ausschusses sogar, dass insbesondere die männlichen Angehörigen der Familie - also die Söhne Elidor und Elton - auf albanischem Staatsgebiet aufgrund der Blutrache beständiger Verfolgung ausgesetzt sind und in Lebensgefahr schweben.
Auch das Verwaltungsgericht Schwerin bezweifelt in seinem Beschluss vom Februar 2016 in dieser Angelegenheit nicht, dass Blutrache in Albanien tatsächlich ein Problem ist. Für das Gericht war diese Tatsache beim Einspruch der Familie gegen die Entscheidung des BAMF und eine mögliche Abschiebung aber unerheblich, da Albanien seit 2015 eben als "sicherer Herkunftsstaat" eingestuft ist. Im Übrigen kommt selbst das BAMF in seinem aktuellen Bericht (PDF) zu der Einschätzung, dass Blutrache in Albanien nach wie vor aktuell ist.
4. Wieso konnte die Familie trotz bestehender Bedrohung durch eine Blutrachefehde abgeschoben werden?
Die für das BAMF und auch das Verwaltungsgericht Schwerin entscheidende Tatsache war nicht, ob diese Blutrachefehde besteht, sondern, dass Albanien seit 2015 als "sicherer Herkunftsstaat" gilt. Die generelle Entscheidung, einen Staat als sicher einzustufen, beinhaltet dabei die Annahme, dass der betreffende Staat seine Bürger schützen kann.
Das Problem für Asylbewerber aus diesen "sicheren Herkunftsstaaten" ist, dass sich die Beweislast umkehrt: Die Asylbewerber müssen nicht nur beweisen, dass in ihrem konkreten Einzelfall eine Gefahr besteht, sondern dass sie weder von den Behörden ihres Heimatlandes geschützt werden, noch innerhalb ihres Heimatlandes flüchten können.
Im Fall der Mutter und ihrer drei Kinder sind die deutschen Behörden bei ihren Entscheidungen vor dem Hintergrund der Einstufung Albaniens als "sicherer Herkunftsstaat" davon ausgegangen, dass die Familie von den Behörden in Albanien geschützt werde oder die Möglichkeit habe, innerhalb Albaniens zu fliehen.
5. Warum wurde die Familie, die die Blutrache angeblich angedroht hat, nicht befragt?
Unabhängig davon, dass die Gerichtsaktenlage eindeutig und daher aussagekräftiger als ein Fernsehinterview ist, haben wir diese Option von vornherein ausgeschlossen, weil wir die bedrohte Familie nicht zusätzlich gefährden wollten, indem wir die Aufmerksamkeit der Gegenseite akut auf sie lenken.
6. Weshalb wurden die albanischen Behörden nicht befragt, warum die Familie vor der angedrohten Blutrache nicht beschützt werden kann?
Seit Anfang Juni versuchen der Autor des Films und seine Albanisch-Dolmetscherin, mittels Telefonanrufen und Mails Kontakt zu verschiedenen albanischen Behörden, etwa dem albanischen Innenministerium und der albanischen Polizei, aufzunehmen. Sie wollen klären, warum es für die Familie, die aus Stralsund abgeschoben wurde, in Albanien offensichtlich weder staatlichen Schutz noch staatliche Unterstützung gibt. Einzelne Vertreter der Polizei und verschiedener albanischer Behörden sollen, wie im Film ja auch dargestellt, gegenüber der Familie selbst bestätigt haben, dass sie ihnen nicht helfen können und darüber sogar ihr Bedauern zum Ausdruck gebracht haben. Auf die Anfragen der Filmemacher gab es bislang jedoch keine einzige schriftliche Auskunft. Nur gegenüber der Dolmetscherin des Filmteams hieß es am Telefon, das deutsche Fernsehen solle sich "um seine eigenen Probleme" kümmern. Der Autor versucht aber nach wie vor, eine Antwort zu bekommen.
Worum es der Redaktion bei diesem Film geht
In der Dokumentation geht es nicht darum, das deutsche Asylrecht generell zu diskutieren. Stattdessen hebt der Film auf die Fragen ab, wie Abschiebungen ablaufen und ob es dazu keine sinnvolle Alternativen gibt. Es mag sein, dass manchen Zuschauern diese Fragen nicht wichtig sind, was selbstverständlich ihr gutes Recht ist. Für die öffentliche Debatte sind sie allerdings von erheblicher Bedeutung, zumal Filmbeispiele, die sich in Deutschland in dieser Breite und Tiefe mit dem Thema Abschiebung beschäftigen, seit 2005 fehlen.
Unsere Dokumentation macht es sich also ausdrücklich zur Aufgabe, eine staatliche Zwangsmaßnahme zu diskutieren, die ja mit erheblichen Ausgaben einhergeht, wie der Film zeigt. Wir stellen dem in der Dokumentation das Beispiel aus Rheinland-Pfalz gegenüber, das nicht nur eine humanere, sondern auch eine kostengünstigere Alternative zu Abschiebungen darstellt. Die Zahlen werden im Film genannt. Dieser stellt die, wie wir meinen, berechtigte Frage, ob das nicht eine Blaupause für andere Bundesländer sein könnte.
Im Übrigen ist uns als Redaktion wichtig, dass es bei den groß angelegten Abschiebungs-Aktionen um Menschen geht, deren Würde genauso viel gilt wie die deutscher Staatsbürger. Und deshalb müssen wir kritisch nachfragen, ob mit ihnen fair, angemessen und verhältnismäßig umgegangen wird.
Und so gilt, was der österreichische Journalist Egon Friedell schon vor fast 100 Jahren gesagt hat: "Mein Ziel ist nicht, Recht zu behalten, sondern Gedanken in Bewegung zu setzen." Die Redaktion begrüßt es deshalb ganz ausdrücklich, dass sich zum Film in den vergangenen Tagen eine so kontroverse und in weiten Teilen auch produktive Debatte entwickelt hat.
Ihre Redaktion 45 Min