Barrierefreiheit in den Medien - Angebote im NDR
Untertitel, Gebärdensprache, Audiodeskription und Leichte Sprache: Der NDR bietet Angebote zur Barrierefreiheit und arbeitet mit den Zielgruppen zusammen.
"Barrierefreiheit in den Medien" - In diesem Zusammenhang gibt es viele Fragen. Wie sollen gehörlose Menschen Töne verstehen? Können sich Blinde ein Bild vom Tatort machen? Oder wie sollen Analphabeten Nachrichten verstehen? Der Norddeutsche Rundfunk engagiert sich seit vielen Jahren in diesem Bereich und baut - im übertragenen Sinne - Rampen. Nur heißen diese dann Untertitel, Gebärdensprache, Audiodeskription und Leichte Sprache. Doch der NDR erstellt diese Angebote nicht nur für Menschen mit Behinderung, sondern auch in Zusammenarbeit mit ihnen.
Von der Sesamstraße bis zum Korallenriff
So ist zum Beispiel Stefanie Schruhl im NDR für die Abnahmen von Audiodeskriptionen (AD)zuständig. Stefanie ist blind und arbeitet als Filmbeschreiberin. Diese Abnahme findet mit AD-Redakteur Martin Ovelgönne und den jeweiligen Autor*innen statt. Dabei werden die knappen Beschreibungen in den Dialogpausen eingesprochen. "Martin achtet auf die Richtigkeit der beschriebenen Bilder, ich achte auf die Verständlichkeit und den Sprachstil", erklärt Stefanie Schruhl. Die Sprache wird dabei dem Genre angepasst.
"Bei der Beschreibung der Sesamstraße verwende ich eine einfache Sprache und berücksichtige, dass blinde und sehbehinderte Kinder einen geringeren Erfahrungsschatz haben als sehende Gleichaltrige", sagt die Filmbeschreiberin. Denn diese Kinder könnten sich ihre Welt ja nicht mittels Beobachtungen erschließen.
Exakte Beschreibungen von Naturdokumentationen sollen sehbehinderten Zuschauer*innen einen möglichst genauen Eindruck von Pflanzen und Tieren vermitteln. "Detailreichtum ist wichtig. Auch wenn ich selbst kaum noch Farben wahrnehme, macht mich ihre Erwähnung in einer bunten Korallenwelt glücklich, was mit Urlaubsträumen vergleichbar ist", erklärt Stefanie Schruhl.
Beschreiber haben den Dreh raus
Und immer arbeitet die Zeit gegen die Beschreiber*innen. Vor allem im Sport, bei Animation und Action, sind die Sprechpausen häufig zu kurz für die Infos, die man unterbringen möchte. "Aber die Hörfilmautor*innen beim NDR haben den Dreh raus", lobt Stefanie Schruhl. "Sie wissen nach jahrelanger Zusammenarbeit mit blinden Beschreiber*innen, welche Informationen wir benötigen, um im Handlungsgeschehen zu bleiben." Hier und da wird die Redaktion auch mal zur Sporthalle, wenn eine Performance aus einer Gameshow wie Klein gegen Groß nachgestellt wird, um sicherzustellen, dass im Kopf der blinden Rezipient*innen die richtigen Bilder ankommen. "Ich mag es, wenn die Arbeit an einer Produktion ein bisschen kniffliger ist - dann fühle ich mich besonders gefordert und gebraucht", sagt Stefanie Schruhl.
Gehörlose Kinder gebärden Nachrichten
Ein Herzensprojekt des NDR sind seit Jahren die Kindernachrichten in Gebärdensprache. Seit 2012 werden die für den Hörfunk produzierten Kindernachrichten von hörgeschädigten Kindern und Jugendlichen in Gebärdensprache übersetzt. Bis 2019 entstanden die Videos dazu im hauseigenen Multimedia-Labor - gebärdet von Schüler*innen der Elbschule, einer inklusiven Hamburger Grund- und Stadtteilschule. Mit einer hörenden Gebärdensprachdolmetscherin und Redaktionsassistentin Lina Thiel erarbeiteten sich die elf bis 14 Jahre alten Schülerinnen und Schüler das Konzept für die Gebärdenfassung der Kindernachrichten und gebärdeten diese dann vor der Kamera. Seit 2019 gibt es mit dem Zentrum für Kultur und visuelle Kommunikation der Gehörlosen in Berlin/Brandenburg (ZfK) einen neuen Kooperationspartner für das Format.
Gebärdensprach-Angebot wird ausgebaut
"Der NDR bietet aber auch Live-Sendungen in Deutscher Gebärdensprache (DGS) an", erklärt der zuständige Redakteur Martin Dittler. Dazu gehören Panorama im Ersten (zu empfangen im Stream und über HbbTV) oder die Talkshow Anne Will (ab 2024 auch Caren Miosga). Auch alle Sendungen zu Wahlen in den norddeutschen Bundesländern, von Kommunal- bis hin zu Landtagswahlen, gibt es im Netz und über HbbTV in Gebärdensprache zu sehen. Gleiches gilt für wichtige Ereignisse im Norden, etwa die Festakte zur Deutschen Einheit oder Sondersendungen wie die Trauerfeiern für Uwe Seeler oder Jan Fedder. Auch auf aktuelle Entwicklungen reagiert der NDR schnell. So wurden alle Folgen des erfolgreichen Coronavirus-Podcasts von Prof. Christian Drosten in Gebärdensprache übersetzt.
Das Angebot wird im Jahre 2024 ausgebaut - in Zusammenarbeit mit dem ZfK übersetzen gehörlose Dolmetscher*innen demnächst die norddeutschen Tatort-Krimis sowie den Polizeiruf 110 in Gebärdensprache.
Leichte Sprache: Feedback von Selbsthilfegruppen
Seit 2016 veröffentlicht der NDR im Internet und im NDR Text Nachrichten in Leichter Sprache. Auch für dieses Angebot ist Martin Dittler der verantwortliche Redakteur. Von montags bis freitags werden jeweils eine Topmeldung aus Norddeutschland sowie Kurzmeldungen aus den Ländern auch in Leichter Sprache verfasst. Diese richtet sich an Menschen, die kognitive Beeinträchtigungen haben, an funktionale Analphabeten oder auch an Menschen, die Deutsch gerade erst lernen. Auch Service-Angebote wie Ausflugstipps oder Hintergrundberichte gibt es mit einer Übersetzung in Leichter Sprache. "Um auch hier nicht an der Zielgruppe vorbei zu arbeiten, holen wir uns regelmäßig Feedback von Menschen, für die unser Angebot hilfreich sein kann. Einen Austausch gab es zum Beispiel mit dem Alpha Team, einer Selbsthilfegruppe der Volkshochschule Hamburg von Menschen, die nicht gut lesen und schreiben können, dem Campus Uhlenhorst, einer Einrichtung für junge Menschen mit Lernschwierigkeiten, sowie Flüchtlingsinitiativen", sagt Martin Dittler.
Fast 90 Prozent Untertitel-Quote im NDR Fernsehen
Die größte Gruppe innerhalb der Redaktion für Barrierefreie Angebote im NDR bilden die Untertitel-Redakteurinnen und Redakteure. 2007 gingen erstmals im NDR Fernsehen Untertitel live über den Bildschirm, nämlich bei der Sendung DAS! mit dem berühmten Roten Sofa. "Seitdem hat der NDR sein Untertitel-Angebot kontinuierlich ausgebaut", sagt Redaktionsleiterin Uschi Heerdegen-Wessel, "inzwischen liegt unsere Quote bei knapp 90 Prozent. Dazu kommen zahlreiche Online-Angebote." Auch hier wird die Zielgruppe, unter anderem Schwerhörige und Gehörlose, in die Arbeit einbezogen - zum Beispiel bei regelmäßigen Treffen mit den Verbandsvertretern.