Mann mit bunten Fledermaus-Flügeln hockt © Deinhardstein © mumok
Mann mit bunten Fledermaus-Flügeln hockt © Deinhardstein © mumok
Mann mit bunten Fledermaus-Flügeln hockt © Deinhardstein © mumok
AUDIO: "The Myth of Normal": Kluge Ausstellung über das andere Normale (4 Min)

"The Myth of Normal": Kluge Ausstellung über das andere Normale

Stand: 05.05.2024 09:42 Uhr

"The Myth of Normal - Vom Können und Gönnen" heißt die neue Gruppen-Ausstellung, die in Hannover gezeigt wird. Das Verhältnis von Körper und Gesellschaft möchten die Macher damit hinterfragen. 

von Agnes Bührig

Eine Unterschenkelprothese auf einem Plateau. Aus ihr tönt das Leid eines Veteranen, der die Ukraine gegen die russischen Angreifer verteidigte. Ein Teil seines Beines wurde amputiert, mit Cannabis betäubte er seinen Phantomschmerz, am Ende war er tot. "Their words/Ihre Worte 2019 - 2024" heißt die Installation des 1982 in Kiev geborenen Künstlers Nikita Kadan, der die Spuren des Krieges an einem Soldaten eindringlich zeigt.

"Mir geht das mit vielen Arbeiten von Nikita so", erzählt der Direktor des Kunstvereins Hannover, Christoph Platz-Gallus, "die über ihre Materialität, die zu einem sprechen, auch häufig noch tiefgehender den Horror vermitteln, als das vielleicht so eine gewisse Abstumpfung auch von direkten Bildern macht. Mir geht das in jedem Fall so, dass im Grunde die Abwesenheit von Dingen noch viel intensiver sein kann als das Direkte, fast Voyeuristische." "Vom Mythos des Normalen" heißt die Ausstellung übersetzt. Die Gruppenschau zeigt 13 Arbeiten, die zum Teil von Künstlern stammen, deren Normalität sich durch Krankheiten verändert hat.

Wie zeigt sich Ausgrenzung im Gesundheitssystem?

Jeamin Cha, Nameless Syndrome (Videostill) © Jeamin Cha/Kunstverein Hannover
Auch in der Ausstellung zu sehen: Jeamin Cha, Nameless Syndrome (Videostill), 2022

Emilie L. Gossieaux hat mit 16 Jahren ihr Augenlicht verloren. Ihre fröhlich wirkenden Zeichnungen zeigen die US-Amerikanerin mit ihrem Blindenhund fern aller Diskriminierungen, die sie schon erlebt hat. Julischka Stengele aus Wien, selbst übergewichtig, setzt sich mit der Ausgrenzung von Menschen im Gesundheitssystem auseinander, die nicht der Norm entsprechen.

Marcos Lutyens hat einen langen Gang erschaffen, der von riesigen Patchwork-Stoffbahnen begrenzt ist: links in Farbe, rechts in schwarz-weiß. Inspiriert wurde er durch die Wahrnehmung von Schlaganfall-Patienten, sagt der Brite: "Wenn Sie einen Schlaganfall erleiden, sind Sie manchmal auf einer Seite Ihres Körpers gelähmt - auch eine Seite Ihres Geistes funktioniert nicht mehr. Die Idee besteht also darin, die Aufmerksamkeit von der rechten Seite auf die linke Seite zu lenken, weg von der einfarbigen Seite hin zur sehr farbenfrohen Strukturseite. In diesem Sinne wirkt das also wie ein therapeutisches Instrument."

Braille-System wird fühlbar

In einem Ausstellungsraum hängen zehn Stahlbleche, jeweils 90 mal 135 Zentimeter groß - senkrecht dicht nebeneinander. Nicht nur von, auch für Menschen mit Beeinträchtigungen hält die neue Ausstellung im Kunstverein Hannover Vieles bereit. Wer die Kunstwerke nicht sehen kann, wird mit einem Leitsystem auf dem Boden an sie herangeführt. Über digitale QR-Codes können Audiodeskriptionen aufgerufen werden.

An den Wänden lässt sich eine übergroße Braille-Schrift des Kölner Künstlers Peter Schloss ertasten. Menschen ohne Behinderung können es nicht lesen, das macht Ausgrenzung von Sehbehinderten einmal für Sehende erfahrbar, so der Künstler: "Die Idee war wirklich, dass ich das sechspunktige Braille-System stark vergrößert habe. Dadurch kann ich andere Materialien benutzen, was man sonst überhaupt nicht hat. Das heißt, ich habe Punkte aus Schleifpapier, aus Filz, aus hartem, kaltem Metall, sodass ich den Worten oder den Begriffen eine Stimmung geben kann. Normalerweise sind es kleine Punkte, und ich fühle keinen Unterschied. Das Sechs-Punkte-System, das kennt kein kursiv, kein bold, das kennt keine Typografie, keine Serifen-Schrift. Das heißt alles, was man sonst visuell machen kann, mach ich jetzt durch Materialität."

Weitere Informationen
Sprengel Museum Hannover © Sprengel Museum Hannover Foto: Herling / Gwose

Kunstausstellungen in Niedersachsen

Malerei, Zeichnung, Grafik, Fotografie, Skulptur, Architektur und Videokunst in Galerien und Museen - eine Auswahl interessanter Ausstellungen im Überblick. mehr

Leichte und spielerische Entdeckungen

Die Ausstellung des Kunstvereins Hannover zeigt klug und facettenreich ein Gegenbild zu den athletisch-gestählten Körpern, die demnächst für den EM-Pokal über den Rasen sprinten werden. Leicht und spielerisch lässt sich hier zudem entdecken, was sonst oft nur als Problem im Verborgenen wahrgenommen wird. Ein wichtiger Beitrag im Kulturprogramm der Fußball-Europameisterschaft.

Weitere Informationen
Außenansicht der Kunsthalle Emden © Erhard Bühle Foto: Erhard Bühle

Museen und Bildende Kunst in Niedersachsen

Von der Kunsthalle Emden bis zum Sprengel Museum Hannover: NDR.de stellt Ihnen eine Auswahl von Museen in Niedersachsen vor. mehr

Blau verfremdetes Motiv: Leere alte Bilderrahmen übereinander angeordnet. © Comstock Images

Kunstausstellungen im Norden

Malerei, Zeichnung, Grafik, Fotografie, Skulptur, Architektur und Videokunst in Norddeutschland. Welche Schau ist sehenswert? NDR.de gibt einen Überblick. mehr

"The Myth of Normal": Kluge Ausstellung über das andere Normale

Die Ausstellung des Kunstvereins Hannover zeigt facettenreich ein Gegenbild zu den athletisch-gestählten Körpern der Medienindustrie.

Art:
Ausstellung
Datum:
Ende:
Ort:
Kunstverein Hannover
Sophienstraße 2
30159 Hannover
In meinen Kalender eintragen

Dieses Thema im Programm:

NDR Kultur | Der Sonnabend | 04.05.2024 | 14:20 Uhr

Schlagwörter zu diesem Artikel

Ausstellungen

Eine Frau sitzt auf einem Stuhl und lächelt in die Kamera. Neben ihr stehen die Worte "Die Hauda & die Kunst" © NDR/ Flow

Kunstwissen to go - serviert von Bianca Hauda

Bianca Hauda serviert Kunstwissen in kleinen Happen: Porträts von Künstler*innen, deren Bilder und Werke in deutschen Museen zu sehen sind. mehr

Der Arm einer Frau bedient einen Laptop, der auf einem Tisch in einem Garten steht, während die andere Hand einen Becher hält. © picture alliance / Westend61 | Svetlana Karner

Abonnieren Sie den NDR Kultur Newsletter

NDR Kultur informiert alle Kulturinteressierten mit einem E-Mail-Newsletter über herausragende Sendungen, Veranstaltungen und die Angebote der Kulturpartner. Melden Sie sich hier an! mehr

NDR Kultur App Bewerbung

Die NDR Kultur App - kostenlos im Store!

NDR Kultur können Sie jetzt immer bei sich haben - Livestream, exklusive Gewinnspiele und der direkte Draht ins Studio mit dem Messenger. mehr

Mehr Kultur

Das Chilehaus im Hamburger Kontorhausviertel © NDR Foto: Irene Altenmüller

100 Jahre Chilehaus: Vision und Utopie

Das Architekturjuwel wird in diesem Jahr 100 Jahre alt. Die Urenkelin des Bauherren Isabel Arends hat darüber 22 Erzählungen veröffentlicht. mehr